077 - Die Hexe von Andorra
einigermaßen überrascht.
„Nanu, woher haben Sie auf einmal die vielen Leute?" fragte er.
„Das sind meine Familiaren", erklärte Quintano. „Sonst gehen sie einer geregelten Arbeit nach, aber wenn ich sie brauche, dann kommen sie."
„Sie haben es gut, Quintano, daß Sie sich auf Ihre Familiaren verlassen können", meinte Duponte sarkastisch.
„Inquisitor Quintano, wenn ich bitten darf!"
„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, Inquisitor Quintano."
„Ist diese Eskorte wirklich nötig?" fragte einer der anderen. „Die vielen Kapuzenmänner mit ihren mittelalterlichen Waffen machen mich ganz nervös."
„Du hast keinen Sinn für Stil, Alain", sagte Clementis, „Diese Eskorte ist der Feierlichkeit dieses Augenblicks angemessen."
„So ist es", bestätigte Quintano, während er die Wendeltreppe in die unterirdischen Gewölbe hinunterstieg. „Diese Haltung ist löblich, und ich hoffe, daß Sie sie bis zuletzt bewahren. Ihr Freund Cassell war nicht so stark."
„Wieso, was ist mit ihm?" erkundigte sich Alain.
„Sie werden es bald sehen."
„Zeigen Sie uns nun endlich die Folterkammer?" fragte Paul Duponte hoffnungsvoll.
„Cassell erwartet Sie dort."
„Mir gefällt es gar nicht, daß sich Quintano immer so undeutlich ausdrückt", sagte Daniel Clementis in einem Dialekt, den der Verwalter nicht verstehen konnte.
„Er ist eben ein Spinner", erwiderte Duponte im gleichen Dialekt. „Wollen wir ihm doch nicht die Freude verderben. Wir werden schon unseren Spaß haben."
Als sie jedoch die Folterkammer betraten und die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, da verging ihnen das Lachen. Aber keiner von ihnen erfaßte sofort den Ernst der Situation, obwohl sie sahen, daß ihr Freund mit Armen und Beinen in einem Block eingespannt war, sein entblößter Rücken Striemen aufwies und seine Zehen und Finger blutig waren. Cassell war so schwach, daß er den Kopf kaum heben konnte. Er blickte ihnen stumpf entgegen und murmelte irgend etwas Unverständliches. Dennoch, obwohl sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnten, daß ihr Freund gefoltert worden war, dauerte es eine geraume Weile, bis sie das richtig begriffen.
„Das kann nicht wahr sein!" sagte einer. „Sie können Jean nicht wirklich so zugerichtet haben!"
Als sich Duponte dem Freund in dem Richtblock nähern wollte, verstellten ihm zwei Kapuzenmänner den Weg.
„Laßt mich durch!" schrie Duponte sie an. „Das geht zu weit! Damit hört sich der Spaß auf!"
„Das ist kein Spaß, Monsieur Duponte", sagte Quintano streng. „Sie und Ihre Freunde stehen hier vor dem Inquisitionstribunal. Ich habe Ihnen gesagt, daß Monsieur Cassell Sie denunziert hat und habe Sie auch auf die Folgen aufmerksam gemacht. Aber Sie haben dennoch alle Anschuldigungen gegen sich bestätigt."
„Wollen Sie sagen, daß Sie Jean wegen dieses Unsinns von wegen Hexen und Teufelsbeschwörung gefoltert haben?" fragte Paul Duponte ungläubig.
Er blickte seine Freunde an. Jetzt erst, nachdem das Gesehene und Gehörte in sein Bewußtsein eingesickert war, begriff er, daß Quintano keineswegs der harmlose Spinner war, für den sie ihn hielten. Er war verrückt, jawohl, wahnsinnig, aber alles andere als harmlos, sondern gemeingefährlich. „Das ist Irrsinn!" sagte Daniel Clementis keuchend. „Wir leben doch nicht im Mittelalter. Ich werde... "
Weiter kam er nicht. Zwei Kapuzenmänner drehten ihm die Arme auf den Rücken, daß er qualvoll aufschrie. Als seine Freunde ihm zu Hilfe kommen wollten, blickten sie auf die Spitzen von Schwertern und Lanzen und die Schneiden von Streitäxten, die ihnen drohend entgegengehalten wurden.
„Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie beweisen können, daß die Beschuldigungen, die ihr Freund gegen sie vorgebracht hat, nicht stimmen", sagte Quintano.
„Wie beweisen?" rief Duponte hysterisch. „Es gibt keine Hexen und Teufel, das ist Beweis genug."
„So, so", meinte Quintano mit feinem Lächeln. „Sie glauben, Ihre schwarze Seele retten zu können, indem Sie den bösen Feind verleugnen. Das kennen wir alles. Aber indem Sie etwas bestreiten, können Sie es nicht ungeschehen machen. Wir haben Erfahrung darin, wie wir verstockte Missetäter zum Sprechen bringen können. Folgen Sie Ihrem Freund!"
Cassells Kopf ruckte hoch. Er blickte seine Freunde aus blutunterlaufenen Augen an.
„Verzeiht mir!" sagte er mit schwacher Stimme. „Ich habe diese Tortur nicht länger mehr ertragen, so daß ich alles gestanden habe, was sie von mir
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