0770 - Die andere Seite der Hölle
Collins, ich habe sie geheilt.«
»Stimmt, es stimmt. Du hast mich auch gerettet…«
»Das Feuer gehorcht mir.«
Jane zwinkerte. Sie merkte, daß sie wieder klar wurde und eine Frage stellen konnte. Plötzlich war sie wieder die Detektivin, der es darauf ankam, einen Fall nicht nur zu lösen, sondern auch die Hintergründe zu erfahren.
»Warum konntest du die Menschen heilen? Erkläre es mir. Wer hat dir die Kraft dazu gegeben? War es wirklich nur die Nonne, oder muß ich da umdenken?«
Elenor lächelte wissend. »Sowohl als auch«, erwiderte sie. »Franziska spielt natürlich eine sehr große Rolle. Sie ist wichtig für mich, denn was ich tat, war nicht einmalig. Du mußt einfach davon ausgehen, daß es dies schon gegeben hat.«
»Und wann?«
»Bei ihr, du Dumme.« Sie tätschelte Janes Wange. »Ich bin sie, und sie ist ich. Ich habe sie übernommen, begreifst du? Ich verfüge über die gleichen Kräfte wie sie. Was ich getan habe, ist nicht neu. Das hat bereits die Nonne gemacht. Auch sie konnte heilen. Sie war diejenige, die sich den Menschen stellte, denn die Menschen fingen an, sie zu lieben. Sie war etwas Besonderes, man baute ihr die Kapelle, selbst der Bischof sah sie als eine Heilige an.« Der Mund verzerrte sich zu einem häßlichen Grinsen. »Bis die Leute schließlich dahinterkamen, was tatsächlich geschah. Was sie trieb, wie sie ihrer Fleischeslust nachging und welch schlimme Dinge sich in der Kapelle abgespielt hatten. Da war es dann vorbei. Da rotteten sich die Menschen zusammen, und unter dem Befehl der Hexenjäger und der Priorin wurde sie auf den Scheiterhaufen gestellt und verbrannt.«
»Das hatte ich mir gedacht. Das wußte ich auch. Aber wie konnte sie heilen? War sie denn eine Hexe? Hat der Teufel ihr die Kraft gegeben?«
»Nein, das war sie nicht.«
»Sondern?«
»Franziska war etwas ganz Besonderes. Sie mochte den Teufel, das glaube ich sicher, aber sie war sehr viel schlauer und wissenschaftlicher. Sie war den meisten Gelehrten weit voraus, denn sie wußte, daß die Kraft des menschlichen Geistes auf dieser Erde einfach unbegrenzt ist. Es gibt für ihn keine Grenzen oder Barrieren. Es ist einfach da, und er läßt sich durch nichts aufhalten. Das hat sie ausgenutzt. Sie kümmerte sich um den Willen der Menschen derart intensiv, daß es ihr sogar gelang, ihn zu kontrollieren. Sie faßte den Willen anderer Menschen zu einer einzigen Energie des Bösen zusammen. Ja, sie spielte mit dem Bösen, das ja in jedem Menschen steckt. Nur konnte sie das Böse kontrollieren und für sich verbuchen.«
»Damit heilte sie?« fragte Jane staunend.
»Ja, sie holte die Energie aus den Menschen hervor und kippte sie um. Es sind in dem Sinne keine Wunder, es war einfach der Wille, der durch sie so verstärkt wurde, daß die Menschen ihre Krankheiten vergaßen und wieder gesundeten.«
Jane nickte, obwohl sie nicht viel begriffen hatte. Aber sie nahm es hin, was hätte sie auch sonst machen sollen? Fragen jedoch drängten sich auf, und die drehten sich jetzt um Elenor Hopkins, die überhaupt nichts Kindliches mehr an sich hatte und wie eine erwachsene Frau wirkte. »Franziska ist gestorben und war doch nicht tot. Sie hat dich gesucht und gefunden.«
»Auch ich fand sie.«
»Du bist in die Kapelle gegangen.«
Elenor nickte. »Ich habe die Schwelle überschritten und sofort festgestellt, daß diese Kirche nicht so war wie die anderen. Sie wurde der Nonne zu Ehren errichtet. Man hätte sie abreißen sollen, so aber hat man einen Hort geschaffen, in dem ihr Geist überleben konnte. Diese Kapelle ist ebenfalls eine Quelle der Energie oder ein Hort des bösen Willens. Ich habe es schon sehr bald gespürt und mich innerlich darauf eingestellt. Es war wunderbar. Ich erlebte die großen Rätsel, die sich plötzlich auflösten. Dieser Platz war wichtig für mich, und ich hatte endlich eine Aufgabe gefunden. Ich bin die Nachfolgerin der Nonne geworden, und ich holte mir ihre Kraft aus der schwarzen Madonna ohne Gesicht. Das ist sie, dort lebt ihr Geist.« Sie warf der Nische einen Blick zu und nickte dabei. »Es ist einfach wunderbar, dies zu wissen, und die Erkenntnis hat mich zunächst beinahe überrollt, bis mir klar wurde, was sie von mir wollte. Wir haben lange Zwiegespräche geführt, denn es verging Zeit, bis sie mich akzeptierte. Dann aber war es in Ordnung. Ich war reif genug, um die Nachfolge antreten zu dürfen. Ich war aber auch reif genug, um Feinde von ihr fernzuhalten. Wer sich ihr als
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