0770 - Die andere Seite der Hölle
die andere, die eigentliche, aus der Kirche vertrieben hatte.
Sie herrschte. Von ihr strömte sie aus und drehte sich in jede Bank, in jeden Stein. Diese Kraft hatte die Kapelle übernommen. Es war das Grausame, das Böse.
Die Besucherin ahnte, daß sie es nicht schaffen würde, sich von dieser Macht zu befreien. Sie gehörte dazu, auch sie war stark geworden, aber nicht so stark wie die Madonna, dessen Lippen jetzt ein schiefes Grinsen zeigten.
Die Augen hatten dieselbe Farbe wie die des Mädchens. Jane konnte sich dem Einfluß nicht entziehen. In der Nische befand sich die Zentrale. Von dort wurde das Grauen gelenkt, und für Jane war die Figur auch keine Figur mehr geblieben, sondern zu einer anderen, möglicherweise lebenden Person geworden.
Das stimmte.
Wieviel Zeit vergangen war, konnte Jane nicht sagen, aber die Madonna erfuhr eine Veränderung.
Woher das blaue Licht kam, wußte sie nicht. Es war einfach da, und es füllte die Nische aus. Es war nicht das Licht eines Sommerhimmels, sondern dunkler, wenn auch sehr klar, damit keine Einzelheiten verlorengingen.
Erst jetzt wurde der Detektivin klar, von welchen kleinen Monstren die Person umgeben war. Zwergenhafte, geduckt hockende Gestalten mit großen Köpfen und breiten Mäulern. Mit dem Gestein verwachsen, aber einem roten Funkeln in den Augen, das Jane wie eine Botschaft annahm. Diese Wesen waren die Diener, sie waren grausam, sie hatten die Mäuler geöffnet, als wollten sie die Beute, die sich in ihre Nähe wagte, verschlingen.
Ein Kratzen!
Jane erschreckte dieses Geräusch.
Sie schaute sich um, weil sie damit gerechnet hatte, daß es seitlich von ihr aufgeklungen war. Sie gestand ihren Irrtum ein, als sie wieder nach vorn schaute.
Aus der Nische war das Geräusch gedrungen. Und sie mußte sehen, wie sich die kleinen Monstren bewegten.
Verdammt, sie lebten!
Ein Gebilde aus krümeligem Eis rann über ihren Körper. Sie spürte die Furcht vor dieser dämonischen Performance, und das Kratzen, das leise Knirschen, blieb bestehen, weil die Monstren versuchten, sich aus dem Verbund zu lösen.
Gleichzeitig bewegte sich auch die Figur. Sie begann mit ihrer Verwandlung und badete dabei in diesem fremden tiefblauen Licht, das ihre Umrisse sehr deutlich hervortreten ließ.
Wer war sie?
Elenor jedenfalls nicht, denn das Gesicht kam Jane fremd vor. Sie hatte es nirgendwo gesehen. Weder auf einem Bild noch als Relief.
Es gab auch keine blonden Haare mehr. Teerschwarz waren sie jetzt geworden.
Ein bleiches Gesicht mit dunklen Brauen und ebensolchen Pupillen. Ein schmaler Mund, eine schmale, lange Nase. Eine seltsame Kleidung, die Jane beinahe an eine Rüstung erinnerte. Die Person kniete in der Nische, die Hände waren vorgestreckt und die Finger nicht zu sehen, weil sie im blauen Licht verschwanden.
Um die neue Gestalt herum lauerten die bösen Dämonen. Schwarze Gestalten mit großen Köpfen und breiten Mäulern. Sie hatten einmal als Bild zur Kapelle gehört, und in der Nische hatte der Sieg des Guten über das Böse dokumentiert werden sollen, doch das stimmte längst nicht mehr. Die Vorzeichen hatten sich umgekehrt. Diese Kapelle war dem Bösen geweiht, da hatte etwas anderes nichts mehr zu suchen.
Und Jane gehörte dazu.
Sie konnte sich einfach nicht von dieser Gestalt lösen. Das Gesicht war zu faszinierend, und nicht nur das. Es strömte davon etwas aus, das auch die Detektivin traf. Es war eine Botschaft aus dem Jenseits oder der tiefsten Hölle. Es war das kalte Licht, das sich möglicherweise aus den verlorenen Seelen zusammensetzte, die zwischen der Unterwelt und der normalen Welt pendelten.
Unzählige Gedanken strömten auf Jane nieder, und sie wußte nicht, welcher davon richtig war und den Kern traf.
Die andere Frau blieb hocken. Startbereit, als wollte sie Jane jeden Augenblick anspringen. Ihre Kleidung gehörte in ein anderes Jahrhundert, sie war hochgeschlossen, und das Oberteil hatte sehr breite Schultern. Darauf kam es Jane nicht an. Viel wichtiger war die Aura der Person, und die strömte nun mal das Böse aus.
Vor ihr bewegten sich die Helfer. Dämonen aus den Schlünden des Feuers. Wie angekohlt wirkten sie. Die Mäuler hielten sie offen, und ihre Zähne glichen scharfen Waffen.
Tote Augen starrten Jane an. Ein Mund bewegte sich. Das Flüstern war nur für Jane verständlich, und die Worte erinnerten sie an eine Begrüßung.
»Du hast den Weg gefunden. Du bist zu mir gekommen. Weißt du auch, wer ich bin? Wer jetzt deine
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