0770 - Die andere Seite der Hölle
präsentierte Elenor die andere Seite der Hölle.
Sie war kein Kind des Teufels, sie war auch keine Hexe, sie war etwas anderes. Eine Mischung aus allem, und sie hatte sich als Heimstätte ausgerechnet eine Kapelle ausgesucht.
Mit einer blitzartigen Bewegung drehte Suko das Lenkrad nach links. Die Reifen griffen gut. Wir gerieten nicht einmal ins Schleudern, als der Wagen in einen schmalen Feldweg einbog. Der Feldweg stieg leicht an, beschrieb dabei einen Linksbogen, um anschließend wie ein schmaler Streifen auf die Kapelle zuzulaufen.
Der Untergrund war längst nicht mehr so glatt. Unebenheiten im Boden machten dem Wagen zu schaffen, aber er nahm sie bravourös. Als Suko bremste, sagte er gleichzeitig: »Da liegt ein altes Fahrrad. Ich könnte mir vorstellen, daß Jane es genommen hat.«
»Oder Elenor.«
»Auch möglich.«
Wir stiegen gleichzeitig aus. Die Türen schwappten zu, und neben dem BMW blieben wir stehen, beide den Blick auf die kleine Kirche gerichtet.
In gewisser Hinsicht konnte ich mich selbst als einen sensitiven Menschen bezeichnen. In diesem Fall bekam ich es wieder bestätigt, denn schon beim ersten Hinschauen gefiel mir die Kapelle überhaupt nicht. Nicht daß sie düsterer wirkte als normale Gebäude bei diesem Wetter, sie strömte auch noch etwas aus, das uns frösteln ließ. Suko fühlte ähnlich wie ich, was ich an seinem Gesicht ablas.
»Das ist ein Hort der Hölle, John.«
»Kein Einspruch.«
»Wo Elenor sich wohl fühlt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht fassen.«
»Wir werden sehen.«
Natürlich wollten wir nicht lange herumstehen und diskutieren. Zugleich gingen wir auf die kleine Kirche zu.
Es war um uns herum. Der Wind umwehte uns mit seinen säuselnden Geräuschen. Unter den schiefergrauen Wolken bewegten sich dunkle Vögel wie Todesboten oder Aasgeier, die darauf lauerten, ihre Schnäbel in unsere Leichen hacken zu können, um das Fleisch herauszureißen.
Die Tür der Kapelle war geschlossen. Sie hob sich in ihrer bräunlichen Farbe von dem übrigen, grau gewordenen Mauerwerk ab und war deshalb einfach nicht zu übersehen. Wer die Kapelle betrat, der mußte durch die Tür.
Wir beeilten uns, aber wir blieben trotzdem stehen.
Die Stille gab es nicht mehr.
Ein schrilles, teuflischgrausam klingendes Lachen war an unsere Ohren gedrungen, vom Mauerwerk der kleinen Kirche kaum gedämpft.
Gleichzeitig geschah noch etwas.
Mit klatschenden und klirrenden Geräuschen zersprangen die Scheiben der Fenster, und das Mauerwerk der alten Kapelle stöhnte, als würde es wenig später auseinanderbrechen.
Uns war klar, daß in ihrem Innern ein Kampf tobte. Und dabei wollten wir mitmischen.
***
Das Lächeln auf dem Gesicht des Mädchens blieb nicht sehr lange. Es zerbrach in Intervallen, dabei zuckte die Haut, und gleichzeitig öffnete Elenor den Mund.
»Was hast du gesagt?« hauchte sie. »Du… du willst nicht mehr zu mir stehen?«
»Nein.«
»Auch nicht zu Franziska?«
»Ja.«
»Du hast es dir gut überlegt?« Jane nickte.
Elenor Hopkins lachte. Während sie das tat, ging sie zurück, weil sie näher an die Nische herankommen wollte. Jane folgte ihr nicht. Sie sah es aus taktischen Gründen als besser an, wenn sie zunächst im Hintergrund blieb. Von diesem Platz aus hatte sie den besten Überblick. Sie spielte auch mit dem Gedanken, auf die Tür zuzurennen und die Kapelle zu verlassen. Das ließ sie jedoch bleiben. Es wäre ihr wie eine große Feigheit vorgekommen. Zudem fühlte sie sich irgendwo auch mitschuldig an den schrecklichen Dingen, die nun mal geschehen waren, und Jane wollte selbst für eine Bereinigung sorgen und letztendlich auch damit ihr Gewissen befreien.
Schritt für Schritt ging Elenor zurück. Sie war jetzt stumm geworden, aber sie schaute Jane unverwandt an. Das Mädchen blieb erst stehen, als es die Wand erreicht hatte, und zwar genau die Stelle, wo sich auch die Nische befand.
Die schwarze Madonna wartete auf sie. Noch immer flimmerte es wie Eisenpulver in dem Gesichtsausschnitt. Die Figur stand an der Schwelle zu einem fürchterlichen Leben. Wie auch ihre kleinen, häßlichen Dämonendiener mit den funkelnden Augen.
»Keine Rückkehr, Jane?«
»Nein!« Ihre Stimme hallte durch die Kapelle.
Gleichzeitig hob Elenor den Arm. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen und streckte ihren Körper, weil sie unbedingt in die Nische eingreifen wollte, um einen Kontakt mit der Figur herzustellen. Sie und die Nonne sollten nicht mehr gerettet
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