0779 - Der Nebelwolf
hatte.
Ich wollte nicht jubeln, denn ich rechnete fest damit, dass es ein erster Versuch gewesen war. Das Wasser in der Umgebung des Kahns jedenfalls hatte sich nicht verändert. Es war von den Schatten durchseucht worden. Seine ursprüngliche Farbe war verschwunden.
Jetzt sah es tatsächlich so aus, als würde auf der Wasserfläche ein schwarzer Teppich schweben. Dunkel und drohend, sich leicht auf den Wellen bewegend, als wollte er einen unheimlichen Tanz vollführen.
Wer war dieser Gegner?
Es fiel mir schwer, darüber nachzudenken, denn die Schatten störten meine Gehirnströme. Ich kriegte Kopfschmerzen. Wie böse Stiche malträtierten sie meinen Schädel.
Ich beugte mich vor. Plötzlich tanzte die Umgebung vor meinen Augen. Der Angriff war mit einer derartigen Wucht erfolgt, dass selbst ich in die Knie ging.
Ein stöhnender Aufschrei wehte mir an die Ohren. Ich drehte mich um.
Hoss Ivory ging es schlecht!
Er hockte noch immer auf der schmalen Ruderbank am Heck und hatte die Arme erhoben. Seine Handflächen lagen zu beiden Seiten des Kopfes. Sie bedeckten auch die Ohren. Er wollte wohl nichts hören, dabei pendelte sein Körper von einer Seite auf die andere.
»Hoss!«, rief ich.
Er reagierte nicht. Er war wie eine Puppe oder noch immer wie eine Puppe, die anderen Befehlen gehorchte. Seine Unruhe nahm zu.
Da sich sein Körper immer heftiger bewegte, blieb es nicht ohne Folgen für das Boot. Der Kahn fing an zu schaukeln, und mir war klar, was Hoss vorhatte. Ob bewusst oder nicht, das war mir jetzt egal. Er jedenfalls wollte das Boot zum Kentern bringen, und dagegen hatte ich natürlich etwas.
Ich stand auf, weil ich ihn an weiteren Handlungen hindern wollte. Ich blieb dabei geduckt oder wollte es bleiben, aber es gelang mir kaum, mich von der Ruderbank zu erheben. Es war so, als hätte man das Brett mit Leim beschmiert, und ich hatte eine wahnsinnige Mühe, überhaupt auf die Beine zu kommen.
Geduckt versuchte ich, die Schwankungen auszugleichen, und taumelte auf Hoss Ivory zu. Wasser schäumte klatschend über die Bordwand. Der Kahn schwankte gefährlich. Er drohte zu kentern, was ich verhindern musste.
Ein harter Stoß oder Schwung erwischte mich. Ich fiel nach vorn und prallte gegen Hoss Ivory. Er kippte zurück, die Gefahr, dass er über die Bordwand fallen würde, verdichtete sich, und mir gelang es im letzten Augenblick, ihn zurückzureißen. Er fiel auf die Seite, fing an zu jammern und trat nach mir. Ich riss ihn hoch und schleuderte ihn auf die Bootsmitte zu.
Mit dem Gesicht schlug er auf die Ruderbank. Er schrie nicht mal, obwohl es wahnsinnig wehgetan haben musste. Ich musste mich setzen und breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten.
Das Boot schaukelte noch immer, diesmal nicht mehr so stark. Es würde sich wieder einpendeln, und das bisschen Wasser, das über die Bordwand gelaufen war, konnte ich vergessen.
In den letzten Augenblicken hatte ich nicht auf meine Umgebung achten können. Erst jetzt warf ich wieder einen Blick auf das Wasser – und erschrak, weil es so düster geworden war.
Schwarze Tinte! Aber eine, die sichbewegte, denn dicht unterhalb der Oberfläche trieben die Wolken dahin wie dicke Atemstöße aus dem Maul eines Ungeheuers.
Hoss Ivory lag noch immer vor mir. Ich blickte auf seinen Rücken.
Ich hörte sein Stöhnen. Der Körper zuckte, und ich wollte noch etwas warten, bis ich mich um ihn kümmerte. Auf keinen Fall durfte er zu einer Beute dieser unheimlichen Kraft werden.
Dann rollte er sich herum. Zuvor stemmte er sich etwas ab, und ich hörte ihn stöhnen. Als er seine Drehung vollendet hatte, fiel mein Blick in sein Gesicht.
Es war blutverschmiert. Beim Aufprall gegen die Ruderbank hatte er sich die Nase geprellt, vielleicht sogar gebrochen, denn aus beiden Nasenlöchern rann das Blut. Es hatte längst die Lippen erreicht und »verziert«.
Ivory war nicht mehr er selbst. Ich hörte ihn röhren, und dieses Geräusch hatte nichts Menschliches mehr an sich. Es war schlimm, es wehte mir wie ein hasserfüllter Hauch entgegen, und in seinen Augen lag längst die Dunkelheit des Wassers. Sie waren zu regelrechten Schattenkugeln geworden.
Dieser Mann war besessen, das stand für mich fest. Letztendlich hatte es die andere Kraft doch geschafft. Wenn ich ihn davon befreien wollte, musste ich es mit dem Kreuz versuchen.
Was flackerte in seinen Augen? War es der Wahnsinn einer furchtbaren Magie?
Ich wusste es nicht und war nur froh, dass die andere
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