078 - Das Drachennest
nicht mehr bewegen. Die Wirkung des Giftes setzte nun voll ein. Sein Körper war gelähmt. Sein Atem ging immer rasselnder, dann wurde er schwächer - und schließlich hob sich der Brustkorb nicht mehr. Das Monster sackte in sich zusammen und fiel langsam zu Boden.
Ich packte eine Fackel und ging auf die vier Mädchen zu. Ihre Gesichter waren leer. Ich sprach sie an, doch sie reagierten nicht. Sie mußten Entsetzliches mitgemacht haben.
Ihre Körper waren mit schlecht verheilten Narben übersät, die von Peitschenhieben stammten.
Die drei Untoten waren verbrannt. Einige Teppiche glosten. In wenigen Minuten würde der Raum in Flammen stehen.
Ich stieß die Mädchen vor mir her und trieb sie in den dunklen Gang, wo sie stehenblieben. Claudia klammerte sich an mich. Sie war zu schwach; sie konnte nicht allein gehen.
Es kam mir endlos lange vor, bis ich die sechs Mädchen und Claudia ins Freie gebracht hatte. Claudia legte ich auf den Boden, dann rannte ich ins Haus zurück. Aus einigen Fenstern schossen rotglühende Flammen.
Mit zusammengepreßten Zähnen rannte ich den Gang zurück. Das Zimmer, in dem sich Moretti befand, war eine Flammenhölle. Ich suchte die Tür, die in den Keller führte, und entdeckte sie schließlich.
Ich fand mehr als zwanzig Mädchen, die in winzigen Zellen eingesperrt waren. Rasch trieb ich sie in den Gang, doch sie blieben stur stehen.
In der letzten Zelle befand sich ein hohlwangiger Mann, der bewußtlos auf einer Pritsche lag. Sein Körper war mit Pestbeulen bedeckt. Er fieberte und sprach wirr. Ich riß die Kerkertür auf, warf mir den Bewußtlosen über die Schulter und brüllte die Mädchen an, daß sie sich endlich in Bewegung setzen sollten. Das Feuer und die Rauchschwaden rissen sie etwas aus ihrer Lethargie. Einige kreischten und schrien. Endlich liefen sie los. Glühende Holzstücke fielen auf mein Haar und brachten meine Kleider zum Glosen. Ich raste weiter.
Der Palast stand in Flammen, als ich in den Garten trat. Ich brüllte die Mädchen an. Claudia half mir. Wir trieben sie wie ein Schafherde vor uns her. Nach wenigen Minuten hatte ich das Gartentor erreicht.
Das Feuer war in der Stadt nicht unbemerkt geblieben. Ich öffnete das Tor, und einige Schaulustige strömten in den Garten.
Man fragte mich, was geschehen sei. Ich sagte, daß ich nichts wüßte und schleppte den Bewußtlosen mit mir. Die nackte Claudia klammerte sich an mich.
Es schien mir, als würde es Stunden dauern, bis endlich die Herberge von Claudias Eltern zu sehen war. Ich wankte in die Gaststube. Claudia fiel auf einen Stuhl. Den bewußtlosen Mario Balsamo legte ich auf einen Tisch. Dann setzte ich mich, schloß die Augen und keuchte.
„Franca!" schrie ich nach einigen Minuten. „Franca!"
Franca stürmte in die Stube. Ich hob den Kopf und lächelte verkrampft. Sein Kopf war verbunden. „Ihr lebt, Herr!" schrie er und umarmte mich.
„Beruhige dich, Franca", sagte ich leise. Jedes Wort fiel mir schwer. „Bringe Claudia zu ihren Eltern! Und trage diesen bewußtlosen Mann in ein Zimmer!"
Ich blieb einige Minuten mit geschlossenen Augen sitzen. Dann stand ich mühsam auf, schenkte mir ein Glas Wein ein und trank es gierig leer.
Ich klammerte mich an einem Tisch fest. Alles drehte sich vor meinen Augen.
Ich erwachte in meinem Zimmer. Es war taghell. Franca saß neben meinem Bett.
„Wie fühlt Ihr Euch, Herr?"
„Wie ein Gevierteilter", brummte ich und setzte mich auf. Ich betastete meine Stirn. Sie war verbunden.
„Wie geht es Claudia?"
„Ihre Mutter verarztete sie", antwortete Franca. „Sie hatte arge Schmerzen, da gab ich ihr ein Schlafmittel."
„Gut." Ich nickte und kroch aus dem Bett. „Und was ist mit dem Pestkranken?"
„Ich öffnete die Pestbeulen und schmierte Heilsalbe in die Wunden."
„Du hast deine Sache gut gemacht, Franca", sagte ich zufrieden. „Wir müssen eine neue Salbe zubereiten. Besorge die notwendigen Kräuter!"
„Schon geschehen, Herr."
Es war angenehm, wenn man einen Gefährten hatte, der es verstand, selbständig zu handeln. Ich hätte mir keinen besseren Freund und Diener als Franca vorstellen können.
Ich trat vor den Spiegel. Der Anblick, der sich mir bot, gefiel mir überhaupt nicht. Mein Haar war versengt, die Wangen waren eingefallen, die Augen blutunterlaufen. Ich löste den Verband und untersuchte die Wunde: eine harmlose Schramme, die in ein paar Tagen verheilt sein würde.
Franca bereitete mir ein Bad und rasierte mich. In kurzen Worten
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