078 - Küss’ niemals Choppers Geisterbraut
doch
hatte man auf den ersten Blick das Gefühl, dass ihm nichts entging, dass er über eine überdurchschnittliche
Aufmerksamkeit und ein ausgezeichnetes Wahrnehmungsvermögen verfügte.
»Ein andermal!«, beschwerte sich Mee, und sie schien
die Anwesenheit der drei anderen Menschen im Haus vergessen zu haben. »Warum
jetzt nicht? Ich hatte eine phantastische Idee... diesmal hättest du mich
bestimmt nicht gefunden. Und Larry auch nicht... er ist mein Freund.«
»Es ist Zeit, dass du zu Bett gehst, Mee...« William
Wayers Stimme blieb ruhig und verbindlich. »Wir spielen morgen wieder
Verstecken.«
»Morgen! Ich habe heute noch gar nicht richtig damit
angefangen«, beschwerte sich die alte Frau.
»Heute ist ein besonderer Tag, Mee...«
»Du hast viele Freunde mitgebracht... Kann man ihnen
vertrauen?« Sie legte den Kopf leicht schräg und blickte nach unten, wo Higgins
und Emily Bybbs standen.
»Ja.«
»Aber du hast immer gesagt, dass wir uns in Acht
nehmen müssen vor den anderen, die draußen sind.«
»Das ist richtig.«
»Und nun gilt das nicht mehr?«
»Es gilt noch immer. Vorerst jedenfalls. Wenn sich
etwas ändert, sage ich es dir rechtzeitig.« Es war ein seltsamer Dialog, den
die beiden führten. Mee wollte erneut aufbegehren. Aber Wayer blieb
unerbittlich.
Er war ihr behilflich, das Bärenfell abzulegen. Es
ließ sich durch einen langen Reißverschluss vorn öffnen. Mee stieg heraus. Sie
trug eine himbeerfarbene, lange Leinenhose und eine hochgeschlossene graue
Bluse. Die Frau, die sich Mee nannte und von sich behauptete, neun Jahre alt zu
sein, war sehr mager. Die Hose schlotterte um ihre Beine, und die Ärmel der
Bluse waren viel zu füllig. Die alte Frau sah schwach und kraftlos aus. Umso
erstaunlicher war die Kraftleistung, die sie mit dem schweren Bärenfell
vollbracht hatte. Die Innenhaut des Fells war fest und nicht sonderlich
elastisch. Das Bärenfell stand nun, durch den Reißverschluss geöffnet, an die Wand
gelehnt, und am Fuß der Leiter lag der mächtige Schädel des Grizzlys.
»Ich bringe sie rasch ins Bett«, wandte Wayer sich an
die drei nächtlichen Gäste, die sich in seinem Haus aufhielten. »Bitte,
gedulden Sie sich ein paar Minuten.« Mit diesen
Worten nahm er Mee bei der Hand und ging mit ihr durch eine Tür, die zwei
Schritte von der Leiter entfernt lag. In dem Raum dahinter brannte Licht.
Offenbar gab es einen Zentralschalter, mit dem alle
Lichtquellen in sämtlichen Räumen sich gleichzeitig einschalten ließen. Der
Raum, dessen Fenster zum Garten lagen und die von der anderen Seite des Hauses
von Miss Bybbs eingesehen werden konnten, erinnerte an ein einziges großes
Spielzimmer. Puppen und Plüschtiere standen in den Ecken und hockten auf dem
breiten Bett. An den Wänden hingen Szenen aus Märchen, von der Decke herab
grüßte ein Hampelmann.
Im leisen Luftzug, der entstand, als die Zimmertür
geöffnet wurde, bewegten sich die Pappglieder des Hampelmanns und die bunten
phantastischen Mobiles. In der Ecke über dem Bett war ein hölzerner, weiß
gestrichener Vogelkäfig. Darin hockte ein buntgefiederter Papagei, nicht mehr
sonderlich gut erhalten. Ihm fehlten zahlreiche Federn und ein Glasauge. Er sah
ziemlich ramponiert aus. Die Teile eines Puzzlespiels lagen wahllos über den
Boden verstreut, und es gab einen Berg von Spielsachen, wie sie Larry Brent in
dieser Menge auf einmal außer in Spielwarengeschäften in einem Kinderzimmer nie
gesehen hatte. Dies war ein Kinderzimmer, und Mee jauchzte vor Freude, als sie
alle ihre Bekannten wiedersah. Sie stürzte auf einen alten Teddybär zu, aus
dessen Armen und Beinen schon die Holzwolle quoll, und herzte und küsste ihn.
»Morgen«, hörte Larry sie sagen, »bringe ich dich zum
Arzt. Morgen wirst du repariert.« Vom Spielzimmer aus führte eine schmale Tür
in einen ebenfalls erhellten Waschraum. Dorthin führte William Wayer die alte
Frau, weiterhin leise und geduldig auf sie einredend. Larry ging über die
Treppe nach unten. »Was ist passiert?«, fragte er Higgins leise.
»Überraschende Wende, wie?« Der Chief-Inspector nickte
bedächtig. »Damit konnte niemand rechnen. Wayer kam unerwartet schnell zurück.
Zusammen mit unserem Mann, der seine Fahrt mitmachen sollte. Daraus ist nun
nichts geworden. Wayer hat unsere Anwesenheit bemerkt und auch seinen
Beschatter angehalten. Er ließ mich wissen, dass wohl die Zeit des
Versteckspiels für ihn und Mee vorbei sei... Er wollte mit uns über alles
sprechen. Ich glaube,
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