078 - Küss’ niemals Choppers Geisterbraut
seine
hartnäckigsten Gläubiger zu befriedigen. Aber das war schiefgegangen. Er besaß
keinen Pfennig mehr. Sich das Leben nehmen… Nicht zum ersten Mal ging
ihm heute dieser Gedanke durch den Kopf.
Am Abend bereits hatte er auf dem Dach des Hochhauses
gestanden, in dem er wohnte. Unter sich die schwindelerregende Tiefe. Nur eines
Schrittes hätte es bedurft, und er wäre nach unten gestürzt wie ein Stein. Aber
er hatte es nicht fertiggebracht. Ziellos war er durch die Stadt geirrt. Er
wusste nicht mehr, wo er überall war. Er hatte einige Gläser Bier getrunken,
irgendwo eine heiße Wurst gegessen. Nun war er hier unten am Rhein. Eine Stunde
vor Mitternacht...
Er starrte in die dunkle Flut, und der Wunsch, einfach
ins Wasser zu gehen und sich treiben zu lassen, wurde in ihm wach. Er sah
keinen Sinn mehr in seinem Leben, wagte aber nicht, nach Hause zu gehen. Selbst
die Wohnung, in der er lebte, gehörte ihm nicht mehr. Der Vermieter hatte ihm
gekündigt. Mit vier Monatsmieten war er in Rückstand geraten. Das konnte er mit
all den anderen Verpflichtungen, die er sich aufgehalst hatte, nicht mehr
aufholen. »Schluss machen... ich werde Schluss machen«, kam es wie im Traum
über seine Lippen. Die Worte wurden ihm nicht bewusst. »Warum?«, fragte da eine
helle Stimme hinter ihm. Im ersten Moment bekam er nicht mit, dass da wirklich
jemand gesprochen hatte. Er hob schwer den Kopf und wandte langsam sein
breitflächiges Gesicht. Neben ihm stand eine junge Frau...
Sie trug einen hauteng anliegenden Rock, eine schmal
geschnittene Jacke und ein buntes Kopftuch, mit dem sie offensichtlich das
lange schwarze Haar vor dem frischen Wind schützen wollte. Die eine
Gesichtshälfte war ihm zugewandt. Ihr großes dunkles Auge musterte ihn aufmerksam und interessiert. Die sinnlichen Lippen waren
halb geöffnet und schimmerten verführerisch. »Warum wollen Sie sich umbringen?«,
hörte er sie fragen. Sie kam von der Seite her auf ihn zu und rutschte neben
ihn auf die Bank. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte er müde und halblaut, als
wäre er gar nicht richtig da. »Sie haben es selbst gesagt.«
»Wirklich?« Sie nickte. »Merkwürdig... ist mir gar
nicht aufgefallen...« Er zuckte bedauernd die Schultern. »Haben Sie ähnliche
Pläne?«, fragte er unerwartet. Die Frage kam wie von selbst über seine Lippen.
»Nein!« Sie lachte silberhell. »Sehe ich so aus?«
»Kann man das, was in einem Menschen vorgeht, denn
immer sehen?« Er rutschte weiter herum und sah sie im Halbdunkel vor sich. Ihre
linke Gesichtshälfte war dem Fluss zugedreht und der Dunkelheit und wurde von
dem bunten Kopftuch zu einem Großteil abgedeckt.
»Wie heißen Sie?«, fragte Fürn.
»Marina«, lautete die Antwort. Ihre Stimme klang
angenehm, und in der Nähe der Fremden, die noch sehr jung war, fühlte der
Lebensmüde sich plötzlich wohl. Sie sah sehr gut aus, hatte eine phantastische
Figur und wirkte anziehend auf ihn. Sie schien es darauf anzulegen, Männer
kennenzulernen.
Fürn, Junggeselle und selbst immer darauf aus, neue
Frauenbekanntschaften zu machen, sagte sich, dass man auf diese Weise mit einem
Vergnügen noch seinen Abschied vom Leben feiern konnte. Ihre schmalen Hände
lagen auf ihren langen, festen Schenkeln. Er nannte ihr seinen Namen. »Wieso
sind Sie so spät noch unterwegs?«, fragte er. Wie zufällig berührte er mit den
Fingerspitzen seiner linken Hand die ihre. Sie fuhr leicht zusammen, zog ihre
Hand aber nicht zurück.
»Ich konnte nicht schlafen«, erwiderte sie leise,
wandte den Kopf und blickte auf den Strom. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Ja. Im Hotel dort drüben.«
»Berger’s Hotel?« Sie nickte. »Ich fühlte mich... sehr
allein... ich habe auch Sorgen...« Einen Moment wirkte sie sehr nachdenklich
und abwesend. Dann ging sichtlich ein Ruck durch ihren Körper. »Aber wir
wollten nicht von mir reden, sondern von Ihnen. Ist Ihnen ihre Freundin oder
die Frau weggelaufen?«
»Nein!« Er musste plötzlich lächeln. »Wie kommen Sie
denn darauf?«
»Sie sehen aus, als hätten Sie Liebeskummer.«
»Nein, es ist etwas anderes.«
»Wollen Sie es mir nicht sagen?« Einige Sekunden
herrschte nach ihren Worten Schweigen. Das Rauschen des vorbeifließenden
Wassers und das ferne, monotone Motorengebrumm der Fahrzeuge, die die Brücke
überquerten, waren die einzigen Geräusche. »Später... vielleicht später.
Erzählen Sie mir über sich. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Vielleicht können wir uns beide helfen,
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