0782 - Knochenbrut der alten Templer
sie noch aufhalten, denn es gab für den Geist des Bösen einfach keine Hindernisse.
Obwohl Lucien auch geschockt war, dachte er doch an seine Verantwortung. So bat er um die Taschenlampe, damit er sich selbst überzeugen konnte. »Gib sie mir bitte…«
Guido hörte nicht zu. Er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen. Nur undeutlich waren seine Worte zu hören. »Wir sind verloren, Freunde. Wir sind des Todes. Wir können nicht dagegen ankämpfen. Sie wird uns verändern, sie wird uns fressen. Keiner von uns kann sie stoppen. Wir werden so werden wie Alain Ducasse, das weiß ich genau.«
»Bitte…« Guido ließ sich nicht beruhigen.
Jean tat das einzig Richtige. Er griff in die Manteltasche des Mannes und holte die Taschenlampe hervor. Dann reichte er sie an Lucien weiter.
»Danke.«
»Du willst gehen?« fragte Jean.
»Sicher.«
»Es kann dein Tod sein.«
Lucien drehte den Kopf nach rechts. Jean stand dicht neben ihm.
»Ich will es wissen«, sagte er, »und wenn es tatsächlich die schwarze Flut ist, dann können wir nichts dagegen tun.« Es hatte keinen Sinn, sich irgendwelche Hoffnungen zu machen, das mussten auch die anderen Templer begreifen.
Sie traten zur Seite, als der grauhaarige Mann die ersten beiden Schritte vorging. Sie wussten nicht, ob sie ihn bewundern oder zurückhalten sollten, und jeder von ihnen glaubte daran, dass Lucien in den Tod gehen würde.
Die Flammen waren noch nicht alle gelöscht worden. Mehr als die Hälfte der Dochte brannte. Das Licht bedeutete nur wenig Hoffnung für die Menschen. Bisher hatten sie darauf gehofft, in der Felsenkathedrale sicher zu sein, nun aber mussten sie einsehen, dass das Böse immer seinen Weg fand, es war allgegenwärtig.
Die Männer schauten auf den Rücken des einsamen Templers, der der normalen Dunkelheit entgegen schritt. Er hatte die Lampe noch nicht eingeschaltet, das tat er wenig später, und sie alle sahen das helle Lichtband, das in die Dunkelheit hinein fuhr und einen bleichen Tunnel riss. Auch Lucien verfolgte das Licht. Noch war nichts zu erkennen. Er bewegte auch die Lampe, ließ den Lichtarm einmal über den Boden wandern und zum anderen über die Innenwände fließen, wo das dunkle Gestein einen matten, etwas bleichen Glanz bekam.
Sah er sie? Lucien jedenfalls blieb stehen.
Er spürte etwas.
Es war das Böse, das bereits seinen Weg gefunden hatte. Schreckliche Gedanken, die an seinen Kopf klopften, und er ging nicht zurück, weil er den Beweis haben wollte.
Etwa in Gürtelhöhe schickte er den hellen Strahl nach vorn, der jetzt ein Ziel traf.
Er wurde verschluckt! Nicht einmal weit von ihm entfernt, und der Templer wusste, dass die böse Flut unterwegs war und bereits die gesamte Breite der Schlucht eingenommen hatte. Der Lichtstrahl sah dabei aus, als wäre er auf halbem Weg einfach abgeschnitten worden.
Da wusste Lucien, dass ihre Chance so gut wie vorüber war. Dass diesmal die andere Kraft gewonnen hatte.
Er wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb, er wollte sie aber nutzen. Vielleicht half es ja, wenn sie beteten.
***
Alain Ducasse war böse. Er hatte sich von seinem früheren Dasein verabschiedet, und das spürte auch der Sessel, denn er reagierte nicht so wie bei mir oder einem anderen.
Er ließ ihn nicht verschwinden, der Sessel verschwand ebenfalls nicht, dafür geschah etwas anderes.
Er begann sich zu bewegen.
Ich wollte nicht unbedingt von einem tanzenden Skelett-Sessel sprechen, doch so ähnlich kam er mir vor, als er von einer Seite zur anderen kippte, ohne jedoch umzufallen.
Immer wieder schlug er auf den Boden. Durch diese harten Geräusche aber drangen die Schreie des Templers, der sein Messer noch immer festhielt und wie ein Wahnsinniger damit vor seinem Gesicht herumfuchtelte, als wollte er sich irgendwie beweisen.
Ich schaute nur zu. Zum ersten mal hatte ich das Gefühl, dass mir der Sessel so außerordentlich fremd war und er mich einfach nicht haben wollte, weil er mit seinem eigenen Problem beschäftigt war, für das er eine Lösung finden musste.
Er fand keine. Zumindest keine, die in seinem Sinne war. Es ging alles ganz anders, aber es kam, wie es kommen musste.
Er hatte das Messer.
Er war böse.
Und er tötete sich.
Mich stieß der Sessel gleichzeitig ab, trotzdem wollte ich hin. Ich kam zu spät.
Da hatte Alain Ducasse schon mehrmals zugestochen. Zahlreiche Wunden übersäten seinen Körper und sein Gesicht.
Das alles hatte sich innerhalb weniger Sekunden abgespielt, die auch
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