0782 - Knochenbrut der alten Templer
Keiner von uns glaubt, dass wir dem Abbé damit einen Gefallen getan haben. Wir können uns doch nicht verbergen wie kleine Kinder, Lucien.«
Der grauhaarige Templer dachte nach, bevor er nickte. »Irgendwo stimmt es schon, Jean. Ja, du hast recht. Ich bin auch nicht derjenige, der sich über diesen Zustand glücklich fühlt. Aber was sollen wir tun?«
»Weggehen!« Lucien hatte nicht nur für sich gesprochen, auch im Namen der anderen, denn sie nickten.
Wieder überlegte Lucien. »Wohin gehen?«
»Weg, zurück. Nach Hause, zu uns. Das Haus ist verwaist, niemand hält sich dort auf…«
»Du vergisst Alain.«
»Nein, Lucien, den habe ich nicht vergessen.« Jean redete schnell weiter. »Er ist allein, wir sind in der Überzahl. Es sollte uns doch gelingen, ihn zu überwältigen.«
»Darüber habe ich auch nachgedacht«, gab der grauhaarige Templer sofort zu.
»Weshalb tun wir es nicht und gehen hin?« rief jemand.
Lucien verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Ich will euch den Grund nennen, meine Freunde. Ich habe keine Angst vor Alain, auch wenn er nicht mehr zu uns gehört, ich habe vor etwas anderem Angst. Es ist die schwarze Flut, die mir die Furcht einjagt. Sie ist gekommen, sie ist auch wieder verschwunden, als sie ihr Ziel erreicht sah. Denn sie hat es geschafft, dass wir den Ort verlassen. Sie wollte uns nicht mehr haben, sie hat uns hinausgeekelt. Aber ich rechne auch damit, dass sie zurückkehren wird, sobald wir uns wieder in Alet-les-Bains blicken lassen. Die schwarze Flut hat uns auf keinen Fall aufgegeben.«
»Meinst du?«
»Ja!« Lucien hatte das letzte Wort laut ausgesprochen. »Davon bin ich überzeugt.«
Die anderen Templer schwiegen. Sie kannten die Gefahr, aber sie waren auch Menschen und reagierten deshalb menschlich. Je weiter eine Gefahr zurücklag, auch in der Erinnerung, umso schwächer wurde sie. Den großen Schrecken hatte die schwarze Flut momentan für die Gruppe der Templer verloren.
Lucien betrachtete dies mit einer gewissen Sorge. Er war der Mann, der die Verantwortung übernommen hatte, und er würde nie mehr eine ruhige Minute in seinem Leben haben, sollte einem seiner Freunde etwas geschehen. Er wusste auch nicht, was er richtig machte und was nicht. Er konnte nur hoffen, dass sie Hilfe bekamen.
Diese wiederum war aus London unterwegs.
Dabei wusste Lucien selbst, dass seine Argumentation auf tönernen Füßen stand, weil sich seine Freunde nicht davon überzeugen ließen, nur wollte er versuchen, sie noch für einige Stunden im Zaum zu halten. Sie wollten jetzt die Kathedrale der Angst verlassen, das war ihnen anzusehen.
Im Prinzip hatte auch er nichts mehr dagegen, nur dachte er an einen anderen Zeitpunkt.
Mitternacht wäre nicht schlecht gewesen. Da hätten sie dann in den frühen Morgenstunden in den Ort einsickern können.
»Ihr wollt jetzt weg?« Bewusst hatte er die Frage gestellt.
Im Schein der Kerzen wirkten die Gestalten der Templer beinahe unheimlich. Sie nickten, jemand atmete laut. Ein anderer war der Meinung, dass er die Enge nicht mehr ertragen könnte, und Lucien hörte sich auch andere Argumente an.
Schließlich stand er auf. Eine offene Rebellion würde es nicht geben, doch sein Einfluss reichte nicht so tief wie der eines Abbé Bloch. »Gut, meine Freunde. Alles, was wir nicht gebrauchen können, ist der Streit zwischen uns. Ich denke etwas anders als ihr, denn ich habe mit dem Abbé gesprochen. Ich habe auch erfahren, wie gefährlich die schwarze Flut ist, nicht allein durch seine Warnungen, sondern durch Alain Ducasse selbst. Ich habe auch Verständnis für eure Unruhe, nur eines kann ich nicht nachvollziehen, leider nicht. Es ist der Zeitpunkt. Deshalb habe ich an einen Kompromiss gedacht. Wir werden noch bis, sagen wir, Mitternacht hier in der Kathedrale bleiben. Danach werden wir dieses Versteck verlassen und uns auf den Weg nach Alet-les-Bains machen. Ist das ein Vorschlag, der als Kompromiss angenommen werden kann?«
Er wurde angenommen. Lucien sah, dass sich die Gesichter der Templer entspannten. Sie atmeten auf, sie waren froh, wieder ein Ziel vor Augen zu haben, und sie brauchten sich auch nicht länger zu beraten, denn jeder von ihnen nickte.
»Bis Mitternacht also!« stellte Lucien fest.
»Das sind noch einige Stunden.«
»Wir werden sie überstehen. Außerdem fühle ich mich unter dem Schutz des Skeletts wohl.« Lucien lächelte. »Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe hier zwischen den Felsen das Gefühl der Sicherheit
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