0782 - Knochenbrut der alten Templer
mich geschockt hatten.
Ich atmete tief durch. Für einen Moment verschwamm die Gestalt auf dem Sessel vor meinen Augen. Ich spürte den Schweiß auf meinen Handflächen und das Zittern in den Knien. Mit gesenktem Kopf ging ich auf den Toten zu, der zwar noch auf dem Sessel saß, sich aber nicht mehr halten konnte.
Sein Oberkörper bewegte sich sehr langsam nach vorn, der Kopf pendelte dabei von rechts nach links, dann fiel er zu Boden und blieb vor meinen Füßen liegen.
Ich ging in die Knie und löste das Messer aus seiner verkrampften Faust. Es ging mir nicht gut. In meinem Magen lag der dicke Kloß.
Der Druck hinter den Augen war ebenfalls kaum zu ertragen.
Das Zimmer drehte sich, als ich den Kopf hob und über die Leiche hinwegschaute. Selbst der Sessel bewegte sich, als stünde er auf einer rotierenden Scheibe. Mit ziemlich wackligen Knien bewegte ich mich auf die Wand zu und lehnte mich aufatmend dagegen.
Hatte ich verloren? Ja und nein. Vielleicht wäre es mir gelungen, den anderen zu retten, aber dieser nicht kalkulierbare Selbstmord war so plötzlich über mich gekommen, dass ich meine eigenen Reaktionen hintangestellt hatte. Ich war in diesen verfluchten Kreislauf hineingeraten, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Hier spielten andere Kräfte eine Rolle. Sie hatten die Regie übernommen, und natürlich dachte ich wieder an die schwarze Flut.
Ich drehte die Leiche auf den Rücken und fasste in die nassfeuchte Kleidung hinein. Den Toten wollte ich nicht unbedingt hier liegenlassen, deshalb hob ich ihn an, verließ das Zimmer des Abbés und legte die Leiche draußen auf den Flur.
Erst dort atmete ich tief durch. Besser ging es mir trotzdem nicht.
Die Vorwürfe blieben, zudem kam ich mir eingekesselt vor. Mich umgaben unsichtbare Stricke. Ich befand mich in Alet-les- Bains, ich hatte die Macht der schwarzen Flut abermals erlebt, die Vergleiche mit Trevine kamen mir automatisch in den Sinn, aber ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Der rote Faden war für mich in diesem Moment abgetrennt worden, und ich war wieder ins Leere hinein getreten.
Verdammt auch! Mit müden Schritten ging ich auf die Tür zu. Ich brauchte jetzt einfach die frische Luft, auch wenn sie kalt geworden war. Als einsame Gestalt stand ich vor dem Haus der Templer. Ich fühlte mich leer, und ich starrte ebenfalls in eine Leere, die mir vorkam wie die einer völlig anderen Welt.
Mein Blick fiel gegen den Himmel. Wolken und Glätte wechselten sich dort ab. Die Gestirne waren kaum zu sehen, dafür zeigte sich der Mond deutlicher. Als bleicher Kreis glotzte er in die Tiefe, als wollte er die Menschen unter Kontrolle halten.
Ich sah keine.
Die Bewohner von Alet-les-Bains hatten sich in die Häuser verkrochen. Der Templer mit dem Messer hatte in ihnen die Angst bis zur Grenze hochsteigen lassen, und keiner von ihnen hatte sich getraut, sich dagegen aufzulehnen.
Wohin? Meine Augen bewegten sich. Ich sah den Leihwagen in der Nähe stehen. Ich trat an ihn heran und dachte daran, Alet-les-Bains zu verlassen, denn ich wollte auch die anderen Templer treffen. Sie mussten leben, sie waren nicht tot, sie hatten die Flucht geschafft. Wenn nicht, hätten sie sich alle im Zustand eines Alain Ducasse befinden müssen. Also waren sie irgendwo.
Immer wieder dachte ich an die Kathedrale der Angst und auch an das silberne Skelett des Hector de Valois, das dort in einem steinernen Sarg für alle Zeiten liegen sollte.
Ich hoffte auf ihn. Ich drückte mir selbst die Daumen, dass er möglicherweise in diesen Fall zum Positiven hin eingegriffen hatte, denn die Templer brauchten Schutz. Zwar waren sie mächtig, aber nicht so stark, dass sie sich aus eigener Kraft hätten gegen die schwarze Flut stemmen können. Das war ihnen nicht möglich, denn sie befanden sich nicht in meiner speziellen Lage, weil ich das Kreuz besaß.
Es rettete mich vor der schwarzen Flut ebenso wie vor dem Todesnebel. All das strömte mir durch den Kopf, ich dachte auch wieder an den Toten und war gleichzeitig so durcheinander, dass ein klarer Gedanke kaum möglich war.
Ich trat auf der Stelle.
Dabei hätte ich etwas tun können. Ich kannte den Weg zur Kathedrale schließlich und ging ihn trotzdem nicht, sondern drehte mich um und betrat das Haus der Templer.
Diesmal machte ich Licht. Die Leiche des Mannes hatte ich neben die Treppe gelegt. Ich wollte sie zwar dort liegenlassen, aber nicht so. Deshalb suchte ich nach einer Decke, die ich auch fand und über den
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