0782 - Knochenbrut der alten Templer
musste. Mit leiser Stimme sagte er: »Sie kommt…«
Er bekam keine Antwort. Nur Jean nickte. Er drehte sich auch als einziger um und sah, wie der Lampenstrahl von der schwammigen Dunkelheit verkürzt würde.
Lautlos näherte sich das Verderben. Die schwarze Flut ließ keine Lücke frei. Wie klebriger Teer bewegte sie sich an den Innenwänden entlang. Sie war nicht zu stoppen, verkürzte den Lichtschein immer mehr, so dass Lucien sich ausrechnen konnte, wann sie über ihn kommen und ihn auf schreckliche Art und Weise verändern würde.
Jemand begann zu beten. Er stand ziemlich weit hinten. Ein Mann, der zu den großen Schweigern aus der Gruppe gehörte, sich nun nicht mehr beherrschen konnte und in den frommen Worten versuchte, seinen Trost zu finden.
Er sprach mit leiser, aber durchaus hörbarer Stimme. Er bat um die Vergebung seiner Sünden, er bat um den Schutz des Himmels und um die Abwehr des Bösen.
Die schwarze Flut störte sich nicht daran. Sie wallte und rollte lautlos weiter. Ein schleichender Tod für die Seelen der Menschen, der plötzlich zugriff und dabei zuerst den betenden Templer erreichte. Er hörte zwar nicht auf zu reden, aber seine Worte änderten sich. Dabei fing er mit einem bösen, blasphemischen Fluch an, stieß einen Arm in die Luft und ballte die Hand zur Faust.
»Baphomet!« schrie er.
Die anderen zuckten zusammen. Sie waren geschockt, sie konnten nichts tun, sie schauten auf ihren Freund, dessen Augen schon einen anderen Glanz angenommen hatten.
Der böse Blick hielt ihn umfangen.
Die Männer schauten zu, wie sich die schwarze Flut veränderte.
Sie teilte sich in ihrer Spitze auf.
Wie dicke Fäden schwebten sie über dem Boden und zielte auf das Gesicht des Mannes, dessen Haut von einem dunstigen Grauschleier umlegt war.
Der Nebel veränderte ihn, auch ein zweiter wurde erwischt. Ein böses Knurren drang aus seinem Mund. Dann sprach er von den tiefsten Tiefen der Hölle, in die er die Menschen hineinzerren wollte.
Er drehte sich auch um, als wollte er schon jetzt nach Opfern suchen.
Ein anderer Templer stemmte sich gegen die Flut an. Zumindest versuchte er es, als er den Kopf schüttelte und immer wieder mit lauter Stimme sein »Nein, nein, ich will nicht!« in die enge Schlucht hineinschriee.
Er trommelte dabei mit beiden Fäusten gegen die Felswand, schlug sich die Hände blutig, bis er zusammensank und wie ein Häufchen Elend liegen blieb.
Es war schlimm, aber es würde noch schlimmer kommen, davon zeigte sich Lucien überzeugt, der mit der Lampe leuchtete und sich nicht von der Stelle rührte.
Was er erlebte, war der Beginn. Eine Fortsetzung würde folgen, und sie würde für alle mehr als schlimm werden. Die Folgen konnten noch nicht übersehen werden, vielleicht war er der letzte, den die schwarze Flut erwischte.
Jean löste sich aus der Gruppe. Er knirschte mit den Zähnen, hielt den Kopf gebeugt und hatte beide Hände gegen seine Ohren gepresst. So torkelte er auf das Kopfende des Sargs zu, übersah einen Stein, stolperte, fiel gegen die Wand und stützte sich wieder ab. Er wollte zu Lucien, um noch einmal mit ihm zu reden.
Da erreichten ihn die ersten Ausläufer der schwarzen Flut. In seinem Kopf spielte sich das Drama ab. Er hörte seine Gehirnströme, denn nichts anderes war das Knistern in seinem Kopf. Es brandete von der Stirn bis zum Kinn, es schälten sich Stimmen hervor, die schreckliche Worte zu ihm sprachen und ihn als Bruder aus der Zukunft begrüßten, damit sie gemeinsam dem großen Götzen Baphomet dienten.
Für ihn war es einfach nicht zu fassen. Die Welt drehte sich bereits vor seinen Augen. Der Untergrund war zu einem schwammigen Meer geworden, in dem die Beine feststeckten. Die Knie gaben nach.
Niemand half ihm, als er dicht neben dem Sarg zu Boden fiel, noch in einer Reflexbewegung den rechten Arm hob und seine Hand auf den Rand legte, als wäre dieser ein Rettungsanker für ihn.
Furcht und schlimme Gefühle durchströmten ihn. Er war nicht mehr er selbst, der Hass auf seine ehemaligen Freunde überwältigte ihn wie eine riesige Woge.
Hass war der erste Trieb in seinem Innern, doch ein zweiter folgte praktisch zeitgleich.
Die Lust zu töten! Er wollte vernichten, er wollte Leben rauben, ihnen allen das Leben nehmen. Sie sollten nicht mehr so bleiben, wie sie waren, und aus seinem Mund floss nicht nur Speichel, sondern auch ein furchtbares Geräusch, das schon mehr dem eines Tieres glich, wenn es hungrig war.
Er wollte sich auf die Beine
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