0782 - Knochenbrut der alten Templer
Chance.
Lucien stieß sich ab.
Er schnellte dem Widerstand entgegen, schleuderte die Arme hoch. Dabei betete er, dass es ihm gelang, den Rand der Mauer schon beim ersten Griff zu fassen.
Wuchtig prallte er gegen den harten Widerstand. Er schrammte mit dem Gesicht über die rauen Steine, seine Lippe fing an zu bluten, das aber merkte er nur wie nebenbei. Es war Lucien gelungen, sich am Mauerrand festzuhalten. Er zog sich in die Höhe, trat mit den Füßen gegen die Mauer, er hörte sich keuchen, aber er hörte auch die Tritte seines Verfolgers.
Sie waren nahe.
Zu nahe! Lucien zog die Beine an. Er schrie, es gelang ihm, sich hochzustemmen, und die Hoffnung durchflutete ihn.
Da packte die Hand des Verfolgers zu. Der Templer spürte sie an seinem linken Knöchel. Er würde vielleicht noch eine Sekunde Zeit haben, dann zerrte ihn der andere wieder nach unten.
Das wollte Lucien nicht. Seine folgende Reaktion resultierte aus dem Akt der Verzweiflung. Mit dem rechten Bein trat er zu, während er sich auch weiterhin festklammerte. Immer wieder, er zählte gar nicht mit, aber er spürte den Widerstand, was ihm Hoffnung gab.
Dann hörte er den Schrei.
Im nächsten Augenblick ließ der Druck nach, kurze Zeit später war er ganz verschwunden.
Lucien hörte noch einen Fluch, er war plötzlich frei und konnte nicht sagen, wie es ihm gelungen war, sich auf die relativ breite Krone der Mauer zu rollen.
Er hatte es geschafft.
Da lag er keuchend, doch Zeit, sich auszuruhen, ließ man ihm nicht. Er drehte sich sofort nach rechts. Dass hinter der Mauer ein verwilderter Garten lag, wusste er.
Lucien sprang hinein. Im ersten Augenblick kam ihm der Sprung wie ein Sturz ins Bodenlose vor, dann hatte er Glück, denn die Zweige blattloser Büsche fingen ihn auf. Er brach hindurch, der weiche Boden dämpfte den Aufprall etwas, und er rollte sich um seine eigene Achse, bis er einen härteren Widerstand spürte.
Auf einem schmalen Trampelpfad blieb er liegen. Tränen klebten in seinen Augen, die Lippen schmerzten, die Haut auf seinem Gesicht brannte. Er fühlte sich zerschlagen, aber er lebte, und allein das zählte.
Lucien hörte sich selbst schwer atmen. Diese Geräusche übertönten alles andere, er würde die Tritte seines Verfolgers kaum hören.
Ihm war klar, dass er hier nicht länger liegen bleiben konnte.
Mühsam raffte er sich hoch.
Nach wenigen Schritten erreichte er einen kleinen Teich. Lucien umging ihn, blieb auf dem Trampelpfad und hoffte, dass Alain nicht die gleiche Idee gehabt hatte wie er. Immerhin war Ducasse schneller und konnte ihn an einem bestimmten Punkt erwarten.
Der Garten war verwildert. Im Sommer diente er den Kindern als Spielplatz. Da konnten sie auch in die Obstbäume hineinklettern, die Lucien nun Deckung gaben. Trotzdem war er noch immer auf der Hut, noch immer von der Angst einer Entdeckung getrieben.
Das Ende des Gartens wurde von einer Böschung gebildet. Auch sie kippte zur Seite hin ab. Die Straße davor lag wie ein breiter Schatten in der nächtlichen Stille.
Niemand lauerte auf Lucien.
Er rutschte die Böschung hinab, blieb am Straßenrand stehen und schaute sich um.
Nicht weit entfernt stand die Kirche. Der Templer dachte daran, dass er sich dort unter Umständen verstecken konnte. Kein schlechter Gedanke, den er trotzdem wieder verwarf, weil ihm andere Dinge wichtiger erschienen. Er wollte auf jeden Fall wieder zurück zu den anderen Mitbrüdern und ihnen Bericht erstatten. Zudem warteten sie schon sehnlichst auf ihn, denn er war ihnen einen Bericht schuldig.
Noch stand Lucien unter einem starken seelischen Druck, so dass er die Schmerzen kaum spürte.
Seine Beine kamen ihm extrem schwer vor, doch er wollte nicht klagen. Bisher war alles glatt gegangen.
Er wusste nicht, wie Alain Ducasse reagierte. Nur konnte er sich vorstellen, dass dieser Mann nicht aufgegeben hatte. Er würde versuchen, sein Opfer trotz allem zu bekommen, und Lucien konnte sich vorstellen, dass Ducasse vor einem Mord auch nicht zurückschreckte. Deshalb musste er weiterhin vorsichtig sein. Für ihn bedeutete dies, den Ort auf Schleichwegen zu verlassen. Davon gab es einige, und Alain konnte nicht alle überwachen.
Nach einer guten halben Stunde hatte Lucien Alet-les-Bains hinter sich gelassen. Er spürte den Nachtwind, der kalt gegen seinen Körper fuhr. Vor ihm lagen die Berge. Sie waren sein Ziel.
Die Nacht war zum Glück dunkel. Selbst der Mond hatte sich hinter einer Wolke versteckt. Er war nur schwach
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