0788 - Herr der Insekten
Guillotine schicken«, sagte Daro. »Du bist erst sechzehn und fällst unter das Jugendstrafrecht.«
»Und du redest gerade, als stünde ich schon vor Gericht!«, entfuhr es Van. »Ist das deine Art, mir helfen zu wollen?«
»Aber nein. Das wäre nur der Extremfall, aber er wird nicht eintreten. Dafür sorge ich. Du bekommst auf jeden Fall den besten aller Anwälte, und wenn es mich mein Vermögen kostet!«
»Schon wieder siehst du mich vor Gericht. Ich will aber erst gar nicht angeklagt werden.«
»Das werden wir auch irgendwie drehen können«, sagte Daro.
»Ja«, höhnte Van. »Irgendwie drehen. Ein Yol ist ein ehrenhafter und ehrlicher Mensch. Das hast du doch gerade eben noch gesagt. An welchen Rädern willst du drehen? Willst du Gaudians Freundschaft einfordern, damit er das Verfahren einstellen lässt? Daro, Claudine wird dadurch auch nicht wieder lebendig, aber sie wird es erst recht nicht, wenn ich als Mörder angeklagt werde. Etwas ist passiert, das ich nicht verstehe.«
Versuche es mir doch wenigstens zu schildern, bat Daro. Ich kann dir nur helfen, wenn ich weiß, was wirklich geschehen ist.
Van schüttelte sich. Ich kann es dir nicht sagen. Ich weiß es ja selbst nicht.
»Du brauchst Ruhe«, sagte Daro. »Am besten versuchst du eine Nacht darüber zu schlafen. Morgen sieht alles vielleicht schon ganz anders aus.«
Klar. Morgen früh steht die Polizei vor der Tür und nimmt mich mit.
»Niemand wird dich mitnehmen«, versicherte Daro.
Da hast du völlig Recht. Niemand wird mich mitnehmen.
»Brauchst du eine Schlaftablette?«, fragte Daro. »Oder vielleicht einfach nur Gesellschaft, jemanden zum Reden, bis du einschläfst?«
Van schüttelte den Kopf. »Lass mich nur einfach in Ruhe«, sagte er.
»Schlaf gut, Van«, verabschiedete sein Vater sich.
Van starrte noch eine Weile die Tür an, die sich hinter Daro geschlossen hatte. Plötzlich war das Gedankenbild der Fliege wieder in ihm.
Leben gegen Leben.
Was bedeutete das?
***
Robin lud seine Truppe beim Polizeipräsidium ab. »Für heute ist der große Spaß so oder so erledigt«, erklärte er. »Feierabend, Herrschaften…« Er sah Zamorra und Nicole an. »Kommt ihr noch bei uns vorbei? Ich verurteile eine Flasche Wein zum Tode und wir gehen uns gegenseitig mit unseren jüngsten Erlebnissen auf die Nerven. Wie wär’s?«
Die beiden erklärten sich einverstanden. Robin tauschte den klapprigen Dienstwagen gegen sein auf dem Parkplatz stehendes Privatfahrzeug, einen dunklen Seat Toledo. Zamorra und Nicole fuhren im BMW hinter ihm her.
Pierre Robin wohnte in einer kleinen Etagenwohnung am Stadtrand. »Was Besseres kann sich ein chronisch unterbezahlter Beamter hierzulande nicht leisten«, hatte er bei Zamorras erstem Besuch kommentiert. Seit ein paar Jahren lebte er hier mit der hübschen Diana zusammen, die Zamorra damals von einem Geisterschiff befreit hatte. Sie hatte rasch Arbeit gefunden, für die sie allerdings auch ein Fahrzeug benötigte, einen Citroën AX. Dadurch, dass sie mitverdiente, konnten - und wollten - sie sich auch nicht unbedingt eine größere Wohnung leisten, hatten diese aber etwas komfortabler ausgestattet. Aus der kompromisslosen Junggesellenbude des Chefinspektors war ein nettes Wohlfühl-Zuhause geworden.
»Endlich«, seufzte Diana zur Begrüßung. »Ich dachte schon, ich müsste mir den Abend allein um die Ohren hauen.«
Robin ließ seinen Mantel und das Clipholster mit seiner Dienstwaffe, einer Heckler & Koch Professor-2000, einfach fallen, wo er gerade war, warf sich in einen Sessel und griff nach dem Pfeifenbesteck.
»Mann!«, ächzte Diana. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deinen Mantel ordentlich an die Garderobe hängen und deine verdammte Zimmerflak nicht mit nach Hause bringen?«
»Häufig«, murmelte Robin. »Aber ich muss sie nun mal aus dienstlichen Gründen tragen. Polizisten sind eben immer im Dienst.«
»Aber deinen Mantel könnest du wenigstens aufhängen! Wozu brauchst du den überhaupt bei diesem prachtvollen Sommerwetter?«
»Auch dienstlich. Er dient meinem Image und tarnt meine wahre Persönlichkeit«, verkündete der Chefinspektor theatralisch.
»Pah!«, machte Diana.
Robin öffnete eine Weinflasche. Zamorra und Nicole tranken jeweils nur ein Glas; sie wollten sich einen klaren Kopf bewahren. Nicole ahnte, dass ihr Chef in dieser Nacht noch eine Aktion plante. Aber er schwieg sich aus.
Irgendwann nach Mitternacht verabschiedeten sie sich. Es war ein schöner Abend
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