0788 - Herr der Insekten
gewesen, den sie teilweise auf dem kleinen Balkon zugebracht hatten.
Durchs Fenster sah Robin ihnen nach, als sie unten an der Straße in Zamorras Limousine stiegen.
»Der hat doch irgendwas am Kochen«, murmelte Robin. »Aber was? Ich sollte…«
»Du bleibst hier, Freundchen«, verwarnte Diana ihn. »Ich will ja schließlich auch noch was von dir haben, ehe der Wecker wieder rasselt.« Sie umarmte ihn.
Irgendwo in der Stadt zogen größere Insektenschwärme ihre Bahnen.
***
Daro Yol saß in der Nacht auf der Terrasse. Er wurde immer wieder von Insekten umkreist. Aber als er überhaupt nicht mehr auf sie reagierte, ließen sie ihn in Ruhe.
Er sah nach oben. Da brannte Licht. Van war also noch wach.
Er hätte doch besser ein Schlafmittel genommen, fand Daro. Es war für den Jungen nicht gut, was sich hier abspielte. Die Veränderungen, die sich heute jäh gezeigt hatten, waren erschreckend und mochten sein Gemüt erschüttern.
Daro versuchte sich an das zu erinnern, was er einen Moment lang gesehen hatte. Den Kopf einer Wespe?
»Wespe«, murmelte er und musste plötzlich wieder an Tschernobyl denken.
Konnten die Wespenstiche dort für eine Mutation gesorgt haben? Er hatte sich das nie vorstellen können, aber unter dem Eindruck des heutigen Tages gewann dieser Gedanke an Brisanz. Waren die Wespen radioaktiv verstrahlt gewesen? Natürlich… und mit ihrem Stachelgift hatten sie dann auch radioaktive Substanz in Daros Körper hinterlassen.
Aber eine solche geringe Menge konnte doch nichts bewirken!
Wie konnte er das feststellen?
Durch eine Genprobe vielleicht? Wenn sich durch die aufgenommene Strahlung damals etwas in ihm verändert hatte, musste es erkennbar sein!
Er beschloss, morgen eine Untersuchung vornehmen zu lassen.
»Ausgerechnet ich ein Tschernobyl-Mutant?« Er konnte es sich immer noch nicht vorstellen.
War die Mutation vielleicht erst bei der Nachfolgegeneration zum Tragen gekommen? War Van ein Mutant?
Aber warum zeigte sich die Veränderung erst jetzt? Warum nicht schon all die Jahre zuvor?
Fragen über Fragen. Und keine Antworten.
Plötzlich erfasste ihn ein Schwindelgefühl. Er glaubte mit seinem Terrassensessel zu fliegen wie in einem Flugzeug, und wieder keimte in ihm der Wunsch, aus eigener Kraft zu fliegen.
Der Schwindel ließ nach, aber der Traum vom Fliegen blieb, und mit ihm der Drang, es tatsächlich einmal zu probieren.
Langsam erhob Daro sich…
***
Leben gegen Leben!
Wie sollte das funktionieren?
Musste jemand sterben, damit Claudine wieder leben konnte?
Nein, entschied Van. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich nicht rückgängig machen. Er musste da jetzt durch, irgendwie.
Du weißt nicht, wie stark deine Fähigkeiten wirklich sind, vernahm er die lautlose Gedankenstimme der Fliege. Erprobe sie. Nichts wird dir unmöglich sein, denn wir sind hier, um dir zu helfen und dir zu dienen. Was kein Mensch vermag, können wir erreichen. Wir legen dir die Welt zu Füßen. Du kannst herrschen über Leben und Tod. Dein ist die Macht.
Klang es nicht zu verlockend, um wahr zu sein?
»Wo ist der Haken an der Sache?«, fragte er und kleidete seine Frage zugleich in eine konzentrierte Gedankenform, die von den Insekten verstanden wurde.
Haken? Was meinst du damit?
»Ihr macht das doch nicht umsonst«, sagte er. »Etwas muss doch auch für euch dabei herausspringen. Was verlangt ihr für eure Unterstützung?«
Nichts. Wir wollen dir nur helfen.
Es war schier unglaublich.
Helfen? Wie, und vor allem warum?
Weil wir dir vertrauen. Du bist unser… Es folgte ein Begriff, den Van nicht verstand. Es war eine Mischung aus Vorbild, Leitfigur, Herrscher…
»Das seht ihr in mir?«, konnte er nur staunen. »Aber wieso? Ich bin nicht von eurer Art. Ich bin ein Mensch!«
Im gleichen Moment schwand sein Augenlicht, war nur noch Dunkelheit um ihn herum. Das Unheimliche in ihm hatte wieder umgeschaltet, ohne dass er es rechtzeitig hatte verhindern können. Er musste es dazu zwingen, ihm die Kontrolle über seinen Körper zurück zu geben. Dann stellte er fest, dass er wieder sechs Arme besaß.
Er taumelte hinüber ins Bad, wo sich der große Spiegel befand.
Mehr und mehr verwandelte er sich in ein menschengroßes Insekt! Sein Kopf verformte sich. Die Mund- und Kinnpartie stülpte sich vor und prägte Mandibeln statt der menschlichen Zähne aus. Die Nase wurde flach.
Fühler drangen daraus hervor und richteten sich auf. Noch waren sie nur klein, aber sie waren für sein
Weitere Kostenlose Bücher