0788 - Herr der Insekten
Zamorra.
»Hm. Nicht besonders gut«, antwortete Robin nun. »Ich bin ziemlich nervös, sagt man mir nach, auch wenn ich es selbst nicht glauben will. Aber richtig Ruhe finde ich selten.«
»Du machst ein paar Tage Urlaub im Château«, entschied Zamorra. »Notfalls feierst du Überstunden ab. Wir sehen schon zu, dass du ruhig wirst.«
»Es dauert also Tage«, murrte Robin. »So viel Zeit haben wir nicht, um diesem Jungen das Handwerk zu legen. Du bist sicher, dass er seinen Vater umgebracht hat? Aber wie? Als der Senior abstürzte, war der Junior in der Villa und hatte mit dir zu tun. Er kann ihn nicht aus dem Flugzeug gestoßen haben. Außerdem wäre er ja dann mit draufgegangen, als die Maschine im Acker einschlug und explodierte.«
»Er ist nicht nur Telepath, sondern auch Insektensprecher. Er lässt die Insekten für sich abeiten. Aber wie genau, weiß ich noch nicht.«
»Insektensprecher! Was es nicht alles gibt…« meinte Robin kopfschüttelnd.
Wisslaire betrat das Büro, ohne anzuklopfen; schließlich hatte er ja auch seinen Platz hier. »Habe den Wunderknaben abgeliefert«, sagte er, »und bin dann noch gleich bei-Yols Hausarzt vorbei. Der Weißkittel wollte erst nicht, hat dann aber doch die Krankenakten herausgekramt.« Er legte einen Schnellhefter auf den Schreibtisch.
»Daro Yol war krank?«, fragte Zamorra nach.
»Jein«, sagte Wisslaire und wies auf die Papiere. Viel gab es da nicht. »Er war an sich kerngesund, aber allergisch gegen Wespengift. Vor ungefähr achtzehn Jahren hat er gute zwei Wochen in einem russischen Krankenhaus zugebracht, weil er von drei Wespen gleichzeitig gestochen worden war. Er wäre beinahe gestorben, hat sich dann aber wieder berappelt.«
Zamorra und Nicole sahen sich an. Vor achtzehn Jahren!
»Russland«, sagte Nicole. »Kann es nicht eher die Ukraine gewesen sein? Die gehörte damals noch zur Sowjetunion. Tschernobyl…«
»Das haben wir gleich«, sagte Robin und begann in den Akten zu blättern. »In der Tat«, sagte er. »Das Krankenhaus befindet oder befand sich in der Nähe von Tschernobyl.«
»Wenn ihn nun Wespen gestochen haben, die durch die Reaktorkatastrophe strahlenverseucht waren… dann war das Wespengift vielleicht schon mutiert und etwas davon setzte sich in Yols Körper fest. Er zeugte einen Sohn, der dieses mutierte Gift ebenfalls in seinem Blutkreislauf hat. Es greift irgendwie seine Gene an und sorgt für Veränderungen…«
»Das ist verrückt«, stieß Robin hervor.
»Es würde aber einiges erklären. Möglicherweise auch, warum seine Fähigkeiten erst jetzt zum Tragen kommen. So lange hat es gedauert, bis das Gift sich durchsetzen konnte.«
»Mir zu kompliziert«, klinkte sich Robin aus der Unterhaltung aus. »Gebt mir einen Mörder und ein paar Beweise, und ich bringe ihn hinter Gitter. Das hier aber - das ist doch beim besten Willen alles nur Spekulation. Selbst unter der großzügigen Prämisse, dass es Magie gibt.«
»Was werden Sie jetzt unternehmen?«, wollte Wisslaire wissen.
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Beobachten und abwarten«, sagte er. »Leider kennt er uns inzwischen alle, sodass wir niemanden unvorbelastet in seine Nähe bringen können. Ich rechne damit, dass er einen Fehler begeht. Dann schnappen wir ihn uns.«
»Und wenn wir ihn uns einfach schnappen?«, schlug Wisslaire vor.
»Mann, unsere Republik ist ein Rechtsstaat!«, fuhr Robin auf. »Wir können nicht einfach jemanden verschwinden lassen. Leider dürfen wir erst zugreifen, wenn wir wissen, dass er etwas getan hat und nicht vorbeugend tätig werden.«
»Aber wie viele Tote soll es noch geben?«
Der Chefinspektor zuckte mit den Schultern. »Hoffentlich keinen mehr«, sagte er.
Dabei wartete der Tod schon auf Professor Zamorra.
***
Während der Fahrt zu ihrem Elternhaus blieb Claudine Mesmer sehr schweigsam. Brunot konnte es nur Recht sein. So konnte er sich besser zurecht legen, was er den Eltern sagen würde. Erst gestern Abend hatte er ihnen die traurige Todesbotschaft überbracht, und nun kam er mit der lebendigen Tochter an…
Er nahm einen seltsamen Geruch wahr. Ganz schwach nur, aber umso stärker werdend, je länger sie mit dem Wagen unterwegs waren. Brunot fuhr den Dienstwagen Robins, den klapprigen Citroën XM, den die Fahrbereitschaft ihm ausgehändigt hatte. Die Klimaanlage war schon seit einiger Zeit defekt, und mit offenen Fenstern fuhren weder Robin noch seine beiden Assistenten gern. Das bedeutete, dass sich der Wagen jetzt im Sommer
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