079 - Die Abenteuerin
über die Stirn. Er wußte immer noch nicht, was er tun sollte, aber endlich schien er doch einen Entschluß gefaßt zu haben, denn er kam wieder zu dem Wagen zurück.
»Wir wollen zur Garage zurückfahren und tanken.«
»Warum denn?« fragte Paul. »Ich dachte, du wolltest telegrafieren?«
»Es kommt nicht darauf an, was du denkst«, erwiderte Willie ungeduldig. »Du kannst mich überhaupt gleich nach London fahren, in der nächsten halben Stunde wird die Post hier doch noch nicht aufgemacht, also ist der Unterschied nicht so groß.«
Der ältere Bruder versuchte zu protestieren, aber Willie kümmerte sich nicht darum. Als sie kurz darauf wieder auf der Landstraße waren, ließ sich Willie herbei, Paul die Sache zu erklären.
»Wenn ich von hier aus ein Telegramm schickte, würde das sehr bald im ganzen Ort bekannt sein. Du weißt doch, wie es in diesen kleinen Nestern ist, und Mr. Mayne würde mir niemals verzeihen, wenn ich so unvorsichtig wäre.«
Willie arbeitete außer für Sportblätter auch für Lennox Mayne und wurde von ihm ausgezeichnet bezahlt. Daneben hatte er noch einige andere Klienten, von denen er aber verhältnismäßig wenig erhielt.
Der Mann hatte wirklich einen sonderbaren Beruf. Sein Hauptquartier hatte er in Newmarket aufgeschlagen. Da es aber auch sehr viel Rennställe außerhalb der großen Plätze gab, wo die Rennen stattfanden, reiste Mr. Jeans in die verschiedensten Orte, wenn Lennox Geheiminformationen über den Stand des Trainings zu erhalten wünschte.
»Es war ein außerordentlicher Glücksfall«, sagte er zu seinem Bruder, als sie weiterfuhren. »Ich glaube, es gibt keinen anderen Mann in England, der sich so nahe an die Pferde Mr. Greymans heranschleichen konnte wie ich. Für gewöhnlich hat er ein halbes Dutzend Leute, die die Straße abpatrouillieren, damit niemand in die Nähe kommt.«
Stuart Greyman besaß ein großes Landgut an der Straße nach Royston und hatte die Lage seiner Ställe so vorzüglich gewählt, daß eigentlich niemand die Pferde bei ihrer Morgenarbeit beobachten konnte. Außerdem hatte er den großen Park, in dem die Pferde trainiert wurden, mit einer hohen Mauer umgeben lassen, und seine Angestellten waren äußerst zugeknöpft.
Von anderen Ställen konnte man ab und zu wertvolle Mitteilungen bekommen, wenn man mit einem der Angestellten auf gutem Fuß stand, aber Greyman bezahlte entweder seine Leute so gut, daß sie nicht aus der Schule plauderten, oder er wählte sie mit ungewöhnlicher Sorgfalt aus. Infolgedessen war er vielen etwas unheimlich. Seine Pferde gewannen unerwarteterweise, und er hütete seine Stallgeheimnisse so gut, daß niemand etwas wußte, bevor das Rennen zu Ende war. Wenn Pferde seines Stalles gewannen, waren es fast immer Überraschungssiege. Er konnte daher auch günstige Wetten für seine Pferde abschließen. Jeder Versuch, seine Tiere zu beobachten, war bisher fehlgeschlagen.
Willie Jeans Genugtuung war deshalb nicht unberechtigt, sein Erfolg grenzte fast ans Wunderbare.
Das staubbedeckte Auto hielt auf einem schönen Platz im Westen Londons an. Willie stieg aus und klingelte an der Tür eines vornehmen Hauses. Der Butler war empört, als er das wenig vorteilhafte Äußere des Besuchers sah, und es dauerte einige Zeit, bis er Willie Jeans anmeldete.
Lennox Mayne saß beim Frühstück und war durchaus nicht empört, als er Jeans sah.
»Nehmen Sie Platz«, sagte er kurz, als der Butler das Zimmer verlassen hatte. »Nun, was gibt es?«
Willie erzählte, was er beobachtet hatte, und Lennox Mayne hörte nachdenklich zu.
»Dieser verteufelte alte Kerl«, sagte er leise, aber nicht ohne Bewunderung. »Man sollte es doch kaum für möglich halten, daß er sich so verstellen kann.«
Willie Jeans war über diese Äußerung etwas überrascht.
Lennox saß einen Augenblick tief in Gedanken versunken, dann sagte er plötzlich: »Sie sind sich natürlich darüber im klaren, Jeans, daß dies ein Geheimnis ist. Es darf nicht herauskommen, daß Yamen nichts taugt. Sie werden erstaunt sein, wenn Sie hören, daß mich mein Onkel vor zehn Minuten aus Baidock anrief und erklärte, daß Yamens Morgengalopp außerordentlich befriedigend verlaufen sei. Das Pferd werde bestimmt das Rennen machen.«
»Was?« fuhr Willie empört auf. »Es lahmt doch ganz entsetzlich!«
»Daran zweifle ich nicht. Aber Mr. Greyman hat wohl einen guten Grund, allen Leuten zu erzählen, Yamen sei in bester Form. Welche Pferde haben denn sonst noch an dem
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