079 - Die Dämonenstadt
wirklich. Die Füße berührten den Boden nicht. Wie von Geisterhand bewegt, sprang der Riegel aus dem Schloß, öffnete sich die Tür.
Zugluft pfiff durch den Raum und ließ die Vorhänge leise schwingen.
Hinter Sally schloß sich die Tür wieder.
Der Lärm aus dem unteren Stockwerk war lauter geworden. Eine rauchige Frauenstimme intonierte ein zweideutiges Lied, bei. dessen Refrain die Leute im Lokal begeistert auf den mit Sägemehl bestreuten Boden stampften. Niemand bemerkte Sally, als sie die Treppe hinunterschwebte. Und trotzdem mußte ihr eine gewisse Körperlichkeit geblieben sein. Ein Betrunkener starrte genau in ihre Richtung und rieb sich die Augen.
Als er seinen Blick wieder der Treppe zuwandte schlängelte sich Sally bereits an der kleinen Bühne vorbei und zwischen engstehenden Stuhlreihen hindurch auf die Pendeltür zu. Die Luft war vom Tabaksqualm zum Schneiden dick.
Ein Mann in der Nähe des Ausgangs griff sich mit der Hand an die stoppelbärtige Wange, als ein eisiger Luftzug ihn streifte, der nicht von draußen kam.
Sally hatte ihn versehentlich berührt.
Ein paar verwegene Gestalten kamen grölend in den Saloon. Jeder von ihnen hatte einen kleinen Lederbeutel mit Goldstaub in der Hand. Die freien Hände lagen auf den Kolben ihrer Colts. In Goodluck-Town mißtraute jeder jedem.
Sally gewann ohne weitere Zwischenfälle die Straße.
Das Unwetter konnte ihr nichts anhaben. Sie fühlte Haut und Kleidung trocken bleiben. Vorbei an Zelten, an deren Firsten Sturmlaternen pendelten, und an schnell zusammengenagelten Bretterbuden, in denen Stunde für Stunde das Glück herausgefordert wurde, vorbei auch an spitzgiebeligen Bordellzelten, hinter deren dünnen Leinwänden Liebe und verlogene Zärtlichkeiten verkauft wurden, wandelte Sally auf den Ortsrand zu. Wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen.
Im zuckenden Licht der grellen Blitze wurden die Höhleneingänge aus der Finsternis gerissen. Vom Schalldruck des Donnergrollens abgesprengte Geröllstücke polterten den Hang herunter, rasten unter den Beinen Sallys weg zum Tal hinab.
Dann ein dunkel gähnendes Loch. Sally blieb davor regungslos stehen. Etwas Furchtbares mußte sich hier abspielen.
Ihre träumenden Augen durchdrangen den Fels mühelos.
Sie sah einen hilflos strampelnden Mann in einer tiefen Grube liegen. Und ein Mann saß ihm auf der Brust, rammte sein Messer immer und immer wieder in den Körper des anderen, ließ brüllend endlich von ihm ab, kam aus dem Stollen getorkelt.
Sally wich zurück.
Das Gesicht des Mannes war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Schrecken und Entsetzen über die eigene Tat leuchtete aus seinen Augen. Er rannte den Pfad hinunter, den das Traumbild eben heraufgekommen war, rutschte aus, fing sich und schlitterte schließlich im Schlamm bis ins Tal.
Er ließ die Ortschaft links liegen, hastete am Hang entlang auf den Creek zu, in dem wild das Wasser aus den Bergen brodelte.
Von den Armen tropfte das Blut.
Der Mann bückte sich, steckte seine Arme bis zum Oberkörper in die zischende Gischt, fuhr sich mit den nassen Händen über die Augen, über das bärtige Kinn.
Sally hatte den Mann sofort erkannt. Zu Hause auf der Ranch stand sein Bild auf dem Kaminsims.
Der Mann richtete sich erschrocken auf, als sich aus dem nahen Ort Hufschlag immer unüberhörbarer näherte. Das Blut war immer noch an seiner Kleidung.
Er rannte los, denn die Furt über den Creek befand sich in der Nähe. Die Männer, die daherkamen, wollten auf die andere Seite.
Plötzlich stolperte der Mann.
Er schrie auf.
Das dunkle Bündel, über das er gestolpert war, regte sich. Im Licht des nächsten Blitzes erkannte der Mann dieses Gesicht.
Kwanee, der Navajo, hatte am Flußufer wieder seinen Rausch ausgeschlafen.
Der Indianer .wurde in der Stadt als Dorftrottel gehalten. Er war nicht ganz richtig im Kopf. Für ein Glas Fusel tat er alles: er schluckte Regenwürmer, leckte Spucknäpfe aus und stach sich Nadeln durch den Oberarm. Die Männer in der Digger-Stadt trieben äußerst derbe Späße mit ihm.
Wieder tauchte ein Blitz das Land am Fluß in blauweißes, gespenstisches Licht. Kein Baum, kein Strauch bot Deckung.
Der Marin erkannte, daß er der Furt viel näher war, als er angenommen hatte.
Die Reiter kamen genau auf ihn zu. Er mußte sie auf sich aufmerksam machen, wenn er nicht unter die Hufe kommen wollte.
Doch er war noch immer von oben bis unten mit Blut besudelt.
Der Indianer nahm die Entscheidung darüber, was er
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