079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
können.
Er selbst konnte jedoch nichts erzwingen. Die Seherin war nach den
gespenstischen Ereignisse ins Hotel gefahren und hatte sich auf ihr Zimmer
zurückgezogen. Sie brauchte dringend Ruhe. Der für sie beinahe tödliche Vorfall
hatte ihre Kräfte merklich geschwächt.
Sheherezade suchte die Ruhe. Sie hatte jedoch versprochen, sich
umgehend zu melden, sobald sie neue Erkenntnisse gewonnen hatte.
Am anderen Ende der Strippe meldete sich Marcel Tolbiac.
„Kommen Sie schnell, Larry", sagte er aufgeregt in die
Muschel. „Ich habe etwas entdeckt."
„Wo, Marcel?"
Der Kommissar war so aufgeregt, daß er vergessen hatte, X-RAY-3
die Adresse mitzuteilen, wo er sich gerade befand.
„Ich bin in der Rue de Paradis. Hier hat Félix Lucelion
seine Hauptwohnung gehabt, hier haben wir ihn tot aufgefunden. Kommen Sie,
Larry!"
„Ich bin schon auf dem Weg, Marcel!"
●
Der Leihwagen, den er seit dem späten Nachmittag fuhr, war
knallrot. Die Farbe erinnerte ihn an seinen Lotus Europa. Aber das war auch
alles, was er mit dem Supergefährt gemeinsam hatte.
Der Peugeot, den Larry steuerte, hatte schon lange keine Werkstatt
mehr gesehen. Die Maschine klingelte und im Auspuff war ein Loch, wodurch die
Motorgeräusche deutlich über dem gesetzlichen Limit lagen.
Das Gefährt hatte er sich vorher nicht angesehen. Es war
telefonisch bestellt worden.
X-RAY-3 nahm sich vor, gleich morgen früh auf einen Wagen
umzusteigen, auf den er sich verlassen konnte.
Larry erreichte die Rue de Paradis, und er atmete auf, als er den
Wagen stoppte. Sich die Mühe zu machen, den Motor abzustellen, brauchte er
nicht. Der blieb von selbst stehen.
„Verdammte Mühle", knurrte Brent, zog den Schlüssel ab und
stieg aus dem Peugeot.
Larry entdeckte einen Häuserblock weiter vorn einen mausgrauen Citroën. Das
Fahrzeug Marcel Tolbiacs.
Es war noch früh am Abend.
Wenige Minuten nach acht.
In den Häusern brannte überall Licht. In der Parterrewohnung stand
das Fenster offen. Hier lebte offensichtlich eine kinderreiche Familie, die
noch der Hausmusik frönte.
Ein Geiger und ein Pianist spielten um die Wette. Dazu sang ein
kleiner Chor. Es hörte sich nicht einmal schlecht an.
Die Haustür stand offen. X-RAY-3 jagte die Treppenstufen empor.
Er mußte daran denken, daß es zu Lucelions Passion gehörte, so
hoch wie möglich zu wohnen.
Auch in seiner
Hauptwohnung hatte er unter dem Dach gelebt. Seinen Tagebuchaufzeichnungen war
zu entnehmen, daß er schon seit jeher unter der Vorstellung litt, aus seiner
Wohnung fliehen zu müssen. Und der Weg über die dicht aneinander liegenden
Dächer war ihm offensichtlich für einen solchen Notfall am geeignetsten
erschienen. Aber als es ihn schließlich erwischte, nützte ihm auch sein
Fluchtweg nichts mehr.
X-RAY-3 kam vor der Wohnungstür an. Tolbiac schien ihn bereits zu
erwarten. Die Tür stand spaltbreit offen. Das polizeiliche Siegel war abgelöst.
Aus der Wohnung vernahm Larry kein Geräusch. Als er die Tür weiter
aufdrückte, fühlte er die Gefahr. Er konnte sich einer sofort aufkommenden
Unruhe nicht erwehren.
„Marcel?" fragte er vom handtuchschmalen Korridor her.
Die Stimme des Amerikaners verhallte. Niemand antwortete.
Im Wohnzimmer brannte Licht.
Auch hier war die Tür nur angelehnt.
Larry öffnete sie.
Er hoffte noch, daß Marcel Tolbiac so in seine Arbeit vertieft
war, daß er nichts hörte.
Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht.
Auch im Wohnzimmer hielt Tolbiac sich nicht auf. Das Innere der
Wohnung machte eine unaufgeräumten, um nicht zu sagen unordentlichen Eindruck.
Überall lag etwas herum. Das Bett war zerwühlt. Von einem Regal über dem
Kopfende des Bettes waren mehrere Bücher herabgefallen. Aber seltsamerweise
lagen sie nicht auf dem Bett, sondern überall im Zimmer verstreut herum, als
hätte sie jemand als Wurfgeschosses benutzt.
Da erstarrte Larry.
Unter dem halb über dem Bett liegenden Plumeau sah er etwas
Dunkles.
Er bückte sich und hob die untere Federbetthälfte etwas in die
Höhe.
Zwei braune Schuhe! Darin steckten Füße!
Larry zog die schlaffe Gestalt unter dem Bett hervor.
Kommissar Marcel Tolbiac!
Seine Leiche war noch warm.
●
Wie ein Computer fing Larry Brents Hirn an zu arbeiten.
Unmittelbar nach dem Anruf mußte hier in der Wohnung Lucelions
etwas passiert sein, wofür es keine Zeugen gab.
Ein Prickeln lief über Larry Brents Rücken.
Das Gefühl, nicht allein zu sein und beobachtet zu werden, war
schlagartig
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