0790 - Kristall aus der Vergangenheit
Der Gedanke gefiel ihm. Meister und Knecht konnten die Rollen tauschen…
Doch zuerst musste er den Umgang mit dem Kristall einüben. Er lief zu dem Bücherregal im Nachbarzimmer, entnahm ihm wahllos ein Buch und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er blickte auf den Buchrücken. Die Magie der unsichtbaren Zauberwesen. Ein überflüssiges Machwerk, das dick aufgetragene, aber wertlose Sprüche enthielt.
Simonet legte das Buch auf den Tisch und ließ sich in dem bequemen Ledersessel nieder. Den Kristall in Händen haltend konzentrierte er sich.
In seinen Gedanken sah er, wie das Buch zu glühen begann und Feuer fing. Lichterloh sollte es brennen! Doch kein Schaden sollte am Tisch oder an einem anderen Gegenstand entstehen.
Nichts geschah.
Er musste sich stärker konzentrieren…
Brenne… brenne, nichtsnutziges Buch!
Simonet hatte die Augen geschlossen. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er fühlte mit einem Mal die Hitze, die ihm mit Wucht entgegen schlug, sein Gesicht zu verbrennen drohte, hörte ein Knistern und leichtes Bersten. Triumphierend öffnete er die Augen.
Die Flammen loderten bis an die Decke. Erschrocken fuhr der Sektenmeister zusammen. Das Feuer schlug unnatürlich hoch. Die Masse des Papiers konnte keine solche Energie frei werden lassen!
Kurz darauf sackte das Feuer übergangslos in sich zusammen. Auf dem Tisch lag ein Häufchen weißglühender Asche, alles, was von dem Buch übrig geblieben war. Rasch erkaltete sie.
Simonet lachte, als er sie zur Seite wischte und den darunter völlig unversehrten Tisch sah. Die Holzplatte wies nicht einmal eine dunkle Verfärbung auf. Genau wie er es sich vorgestellt hatte.
Er blickte an die Decke, die durch die Flammen unter normalen Umständen verkohlte Stellen aufweisen müsste.
Das makellose Weiß der Decke schien zu leuchten.
Er hatte es geschafft.
Ein Gedanke keimte in ihm.
Ein weiterer Test für die Macht des Kristalls fiel ihm ein.
Er dachte an die beiden Menschen, die seine Beschwörung unterbrochen hatten. Sowohl der Mann als auch die Frau hatten ihn niedergeschlagen.
Es war Zeit, sich dafür zu rächen. »Ich bin zum letzten Mal vor euch geflohen«, murmelte er.
Sie sollten genauso brennen, wie das Buch gebrannt hatte!
***
»Woher hatten Sie das Beschwörungsbuch, von dem Sie mir am Telefon erzählten?«
»Das tut nichts zur Sache. Wichtig ist nur, dass wir mit seiner Hilfe Kontakt mit dem Hyänengott aufnehmen konnten.« Der Bruder des getöteten Gerome Dorier schenkte sich zwei Fingerbreit Whiskey ein und leerte das Glas mit einem Schluck. »Ich hatte damals die Hosen voll, doch Simonet hatte die Situation unter Kontrolle.«
»Simonet?«, mischte sich Nicole ein.
»Maurice Simonet. Ihm hatte ich das Buch verkauft. Er sprach mit dem aufgetauchten Dämon, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan.« Er schauderte bei dieser Erinnerung. »Ich glaube, für ihn erfüllte sich in diesen Momenten ein Lebenstraum.«
»Wer ist dieser Simonet?«
»Damals war er ein verrückter Spinner. Heute ist er ein gefährlicher Mann geworden. Wie gefährlich, das hat mein Bruder heute am eigenen Leib erfahren müssen.«
»Sie sagten, Sie wissen, wer Ihren Bruder ermordet hat. War es Simonet?«
»Niemand anders kann es gewesen sein.« Wieder wurde das Glas halb gefüllt. »Das verdammte Schwein! Zamorra, Sie haben auf der Baustelle klar gemacht, dass Sie die Geschichte mit dem verschwundenen Kristall glauben.«
»Wir sind beide davon überzeugt. Deshalb sind wir hierher gekommen. Wir wollen den Kristall aus dem Verkehr ziehen.«
»Mein Bruder hatte ihn an sich genommen, als André vom Wahnsinn befallen wurde.«
Die Puzzlesteine begannen sich in Zamorras Gedanken zu einem Bild zusammenzufügen. Nur eines war noch unklar.
»In welchem Zusammenhang stand Ihr Bruder mit Simonet?«
»Das ist nicht ganz einfach zu erklären.« Zum ersten Mal senkte Dorier den Kopf, offenbar beschämt. »Nach der ersten Beschwörung des Hyänendämons hat Simonet eine Sekte aufgebaut. Es ist mir völlig unklar, woher er damals so rasch die ersten Menschen nahm, die ihm folgten…« Die Erzählung stockte.
Nicole glaubte zu verstehen. »Sie und ihr Bruder haben sich beide der Sekte angeschlossen?«
»Es war anfangs harmlos. Doch je mehr Mitglieder die Versammlungen zählten, umso härtere Forderungen stellte Simonet. Er führt die Sekte mit hartem Griff. Er beschwor Vorrec regelmäßig. Es ist allen klar, dass er die Macht über ihr Leben hat, denn
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