0794 - Das Zauber-Zimmer
fuhr langsamer, weil eine alte Frau die Straße überquerte. Sie hatte ihren Kopf mit einer Pelzmütze geschützt. »Überleben ist vielleicht etwas zu drastisch ausgedrückt«, nahm der Kommissar den Faden wieder auf, »aber es stimmt. Jetzt steht der Egoismus im Vordergrund. Außerdem ist die Vergangenheit längst nicht tot. Nur verschüttet, und irgendwann wird sie wieder zum Vorschein kommen. Dann stinkt der politische Sumpf. Da ist es ähnlich wie bei unserem Fall. Auch wir haben gegen die bösen Geister der Vergangenheit zu kämpfen.«
»Stimmt.«
Wir hatten uns bei einem Bewohner nach dem Einsarger oder einer Schreinerei erkundigt, wussten den Weg, und hatten keine Nachfragen erhalten, sondern nur erstaunte und auch irgendwie hinterlistige Blicke, die mir zu denken gaben.
Matt strahlte das Licht der Straßenlaternen auf die weiße, geschlossene Schneedecke. Sie reflektierte einen Teil des Scheins, sodass er seine Umgebung noch ein wenig verschönerte. Sogar bis in diese Einsamkeit waren die dummen, rechten Parolen gedrungen.
Manche Häuserwände waren damit beschmiert worden. Andere hatten dagegen gesprüht und wünschten sich die alten Zustände zurück.
Die Straße teilte sich. Zwei Richtungen standen zu unserer Verfügung. Wir mussten die rechte nehmen. Harry Stahl drehte das Lenkrad in die entsprechende Richtung. Wir fuhren in einen Feldweg hinein. An der linken Seite lagen Felder. Jenseits davon schoben sich Hügel wie weiße Buckel in die Höhe.
Dafür hatten wir keinen Blick, denn die Schreinerei musste auf der anderen Seite liegen. Ich schaute ebenso hin wie Harry Stahl. Die hier stehenden Häuser waren von relativ großen Gärten umgeben, die teilweise auch als Abstellplätze für nicht mehr zu gebrauchende Gegenstände benutzt wurden.
Im Licht der Scheinwerfer glänzte ein Metallschild. Mit einiger Mühe konnten wir die Schrift entziffern. Harry las halblaut vor.
»Walter Fuhrmann. Schreinerei und Holzverarbeitung. Ich denke, wir sind hier richtig, John.«
Ich schwieg und schaute mich um, als wir auf einen Hof rollten.
Ich wusste auch nicht, was genau mit mir los war, aber mich hatte ein komisches Gefühl überkommen. Ich stand unter einem gewissen Druck und ahnte, dass nicht alles so lief, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte.
Das Wohnhaus und die Werkstatt bildeten ein zusammenhängendes Gebilde, wobei die Werkstatt in einem rechten Winkel zum Wohnhaus stand. In diese breite Kerbe rollten wir hinein. Das Licht glitt über Holzstapel hinweg, über einen alten Lastwagen mit offener Ladefläche und auch über eine verrostete Drehbank.
In der Werkstatt brannte Licht. Aus kleinen, viereckigen Fenstern fiel der matte Schein und ließ goldene Schleier über die Hauswand auf das Unkraut im Hof fallen. Der Schnee war hier weggetaut. Als wir ausstiegen, versanken unsere Sohlen im Matsch.
Wir drückten die Tür zu, und Harry Stahl ging schon vor. Er suchte nach dem Eingang der Werkstatt. Ich schaute dabei auf seinen Rücken und stellte fest, dass er sich auf einmal nicht mehr bewegte und einfach starr auf der Stelle stand.
Das musste einen Grund haben. Bevor ich ihn herausfinden konnte, hörte ich eine junge, aber aggressiv klingende Stimme. »Was wollen Sie denn hier, Mann?«
»Ich möchte zu Herrn Fuhrmann.«
»Mein Vater hat keine Lust.«
»Das soll er mir selbst sagen.«
Ich stand neben Harry Stahl und sah nun, wer uns aufgehalten hatte. Es waren zwei Jugendliche, die lässig neben der Tür an der Hauswand lehnten. Zumindest der Sprecher trug seine Haare so kurz geschoren, dass der Kopf wie eine Glatze mit dunklem Schatten wirkte. Dazu passte auch die Kleidung. Bomberjacke und Schnürstiefel, eine billige Lederhose und zahlreiche Abzeichen, über deren Unsinn ich mich hier nicht auslassen möchte.
Vom Alter her war der Junge schlecht einzuschätzen. Er konnte siebzehn, aber auch neunzehn sein. Sein neben ihm stehender Kumpan war kleiner. Er hatte blondes Haar, eine Himmelfahrtsnase, wirkte jünger und nuckelte an einer Zigarette. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben.
Als ich, der zweite, erschien, verlor der Glatzkopf etwas von seiner Sicherheit. Er sprach mich aber an. »Wollen Sie auch zu meinem Alten?«
»Ja.«
»Selbst schuld.«
»Warum?«
»Der ist sauer.«
»Wir bringen ihm Arbeit«, sagte der Kommissar.
Der Junge lachte bösartig. »Ihr könnt es ja mal versuchen.« Mit einer lässigen Bewegung gab er die Tür frei, und Harry öffnete sie, ohne zuvor
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