0795 - Vater, Mutter, Satanskind
weitere Leichen oder Reste davon finden würde. Er brauchte nur an den Toten zu denken, der durch die Decke gefallen war, und niemand wusste genau, wie viele Menschen verschwunden waren, um hier im Hotel ihr Leben zu verlieren.
Harry gab sich keinen Illusionen hin. Mit ihm hatten sie das Gleiche vor wie mit den anderen, doch er wollte keine Beute für diese schrecklichen Menschen werden. Ausgeblutet, zerstückelt, tot. Falls es so weit kommen sollte, dann hatte er noch seine Waffe und würde seinem Leben freiwillig ein Ende setzen.
Zuerst musste er an die Pistole herankommen. Der Aufprall hatte ihn unglücklich erwischt, ebenfalls ein dummer Zufall, der in diesem Fall lebensgefährlich werden konnte. Seine Bewegungen wirkten wie eingefroren, sie waren zu langsam, und da er nicht aus den Augen gelassen wurde, würden die anderen mitbekommen, was er vorhatte, vor allen Dingen dieses Kind. Für ihn war dieses Mädchen ein Zwitter, äußerlich ein Kind, aber in seinem Innern musste etwas anderes stecken.
Ein Teufel?
Ein böser Geist?
Es ließ sich Zeit. Kleine Schritte nur legte es zurück. Es schien alles zu genießen, kostete jede Sekunde aus, und Harry dachte nur daran, dass dies auch so bleiben sollte.
Nur keine Änderung, auf keinen Fall das Umschalten von langsam auf schnell.
Seine rechte Hand umklammerte die Waffe. Er zog sie noch nicht, er dachte zwar an sie, aber sein Blick galt nach wie vor dem Kind.
Ich muss es ablenken, ich muss es aufhalten, ich muss versuchen, es zum Reden zu bringen, dann läuft es vielleicht besser.
Es fiel ihm schwer, die erste Frage zu stellen. Seine Kehle war im Innern verschleimt, er schluckte und räusperte sich, trotzdem drangen die Worte nur krächzend hervor. »Wer… wer bist du? Hast du auch einen Namen, verdammt?«
Das Mädchen hatte ihn gehört. Es blieb sogar stehen. War es irritiert? Wollte es sich einen Spaß machen?
»Sag mir, wie du heißt!«
»Pamela!« Die Kleine brachte eine rasche Antwort, als wäre sie froh darüber, endlich reden zu können, und Harry Stahl dachte daran, dass ihm dieser Name unbekannt war. Aber sie hieß sicherlich nicht nur Pamela, sie musste einen Nachnamen haben, den wollte er auch noch erfahren.
Pamela wollte nicht.
Sie setzte ihren Weg fort. Ihr Gesicht hatte sich zu einem Grinsen verzogen. Die Augen bewegten sich unruhig. Da schienen sich ihre Pupillen in die verschiedenen Richtungen zu drehen. Der Kommissar dachte darüber nach, wie er sie noch aufhalten konnte, und dazu mussten ihm auch andere Fragen einfallen.
»Hast du auch Eltern?«
Mit einer Antwort hatte er nicht gerechnet, weil sie nicht stoppte.
Sie sprach trotzdem: »Ich habe Eltern, aber habe vergessen, wer sie waren. Ich bin in einer anderen Welt geboren und bin auf diese gebracht worden, um mit ihm eine Einheit zu bilden. Wir alle wollen seine Wiederkehr. Die Leute, die du hier siehst, können nicht akzeptieren, dass ihr großer Meister nicht mehr sein soll. Es gibt ihn noch. Menschen wie er sind unsterblich.«
»Von wem redest du?«
»Es ist ein Mann, sehr bedeutend und seiner Zeit weit voraus. Ein hervorragender Mann, wir alle lieben ihn, und ich habe ihn besonders in mein Herz geschlossen.«
»Okay, den Namen!«
»Aleister Crowley!«
Wäre der Kommissar ein Experte in Sachen Magie gewesen, dann hätte er damit etwas anzufangen gewusst.
Doch er hatte sich noch nicht mit der Theorie und den Hintergründen beschäftigen können, so sagte ihm dieser Name nichts, was auch Pamela auffiel. Sie blieb sogar stehen, als sie fragte: »Du kennst ihn nicht?«
»Nein. Oder ist das wieder ein anderer Name für den Teufel, dem ihr ja nahe steht.«
Wieder reagierte das Mädchen überrascht, als es anfing zu lachen, sich dann drehte, um die Alten anzustarren, bevor es fragte: »Stehen wir dem Teufel nahe?«
»Jaaaa!«, brüllten sie wie aus einem Mund und warfen dabei ihre Arme in die Höhe. »Wir stehen ihm alle nahe, aber nur durch ihn, durch den großen Aleister.« So etwas wie eine Verklärung überkam sie, als sie seinen Namen aussprachen. Die Augen glänzten verzückt, aber sie schauten nicht gegen die Decke oder die Wände, sondern auf das Mädchen, als wären es und dieser Aleister identisch.
Harry Stahl wollte hier nicht werten, auch nicht zu viel theoretisieren, er hatte nur Zeit gewinnen wollen, und das war ihm auch gelungen. Endlich schaffte er es, sich auf die Seite zu rollen. Er hatte sich eine günstige Gelegenheit ausgesucht, weil sich seine Gegner noch
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