0797 - Rasputins Tochter
bedrohlich.
Andrej, der vorging, bewegte seinen Mund wie jemand, der aß.
Dabei kaute er nur an seinem eigenen Speichel, atmete durch die Nase und folgte dem Licht der Lampe mit seinen scharfen Blicken.
Ihm war nicht mehr wohl zumute.
Etwas hatte sich verändert. Er wusste nicht, was es gewesen war, aber so wie beim ersten Besuch war es jedenfalls nicht mehr. Sie hätten die Frau eigentlich sehen müssen, denn sie hatten sie im Schatten eines Palettenvierecks zurückgelassen.
Da war sie nicht mehr.
Andrej blieb stehen und wartete, bis Wassili ihn erreicht hatte. Bevor Andrej eine Frage stellen konnte, gab ihm der andere bereits so etwas wie eine Antwort. »Hier muss sie doch gelegen haben.«
»Meine ich auch.«
Wassili leuchtete über den Boden. »Und jetzt ist sie weg, verdammt! Dabei hatten wir sie gefesselt.«
»Nur die Arme.«
»Das hat gereicht. Wohin hätte sie denn laufen sollen? Sie kann nicht entkommen. Das ist dicht, superdicht.«
»Sollte es eigentlich sein«, murmelte Andrej. Er ärgerte sich über die Schwäche in seiner Stimme, ein Zeichen, dass ihn so etwas wie Unwohlsein überkam. Er spürte eine Kälte, die nicht zu erklären war. Sie drang nicht durch irgendwelche Löcher oder Ritzen, sie kam einfach von innen und hielt ihn fest wie eine Klammer. Er war stehen geblieben und schaute sich um, dabei huschte auch der helle Strahl durch den Frachtraum, doch die Frau sah er nicht.
Kalt rann es seinen Rücken hinab. Neben ihm stand Wassili mit geöffnetem Mund. Sein Gesicht hatte dadurch einen regelrecht dämlichen Ausdruck angenommen. Er atmete stoßweise und zuckte hin und wieder zusammen, als hätte er einen Stromschlag bekommen.
»Ich glaube, wir hauen ab.«
Wassili nickte. Eben das hatte er vorschlagen wollen. »Ist dir auch unheimlich geworden?« Obwohl er nur geflüstert hatte, hallten die Worte nach.
»Ja.«
»Wie kommt das?«
»Weiß ich nicht.«
»Das war sie, das war dieses Weib. Es hat uns verhext, es hat alles hier verhext. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass sie plötzlich verschwunden ist. Sie… sie muss an Deck geklettert sein, glaube ich. Dann hat sie sich versteckt, sie kann auch über Bord gesprungen sein.«
»Warum sollte sie das tun?«
»Weiß ich doch nicht.«
Andrej musste zu einem Abschluss kommen. »Okay, wir durchsuchen den Raum noch einmal und verziehen uns dann, falls wir sie nicht gefunden haben. Wenn wir uns trennen, geht es schneller.«
Wassili nickte, ohne damit einverstanden zu sein. Er wagte auch keinen Widerspruch, da er nicht als Feigling gelten wollte. Wieder rieb er über seine weiche Nasenspitze und tauchte wenig später in einen schmalen Gang zwischen zwei hohen Kistenstapeln ein.
Die Stahlbänder an den Seiten glänzten wie scharfe Messer.
Der Seemann hatte sich geduckt wie jemand, der jeden Augenblick einen Schlag erwartete. Er hörte nur seine eigenen Schritte. Sein Kollege war verschwunden. Hinter den Stapeln standen weitere. Zwischen ihnen existierten Lücken, nicht sehr breite Gänge, durch die aber ein Gabelstapler fahren konnte.
An einer Kreuzung blieb Wassili stehen.
Er musste sich entscheiden. Sollte er nach rechts oder nach links gehen? Da Andrej nach rechts gegangen war, als sie sich getrennt hatten, entschied er sich für die linke Seite.
Wassili drehte sich um. Er tat es nicht gern. Sein Gefühl sagte ihm, falsch reagiert zu haben, und er hatte sich nicht geirrt, denn im Rücken spürte er die Berührung. Dahatte ihn jemand angetippt. Andrej konnte es nicht sein.
Er flog herum.
Die Frau war da!
Im zuckenden Licht der Lampe sah er ein erschreckendes Gesicht, dann blitzte es vor seinen Augen auf, und dieser optische Blitz verwandelte sich in einen tödlichen Schmerz, der seinen gesamten Hals ausfüllte, den Schrei erstickte und ihn hinein in die tiefe Finsternis riss, wo er endgültig versank.
Larissa ließ die Hand mit dem blutigen Messer sinken. Sie schaute für einen Moment auf den vor ihr liegenden Körper. Das Lächeln der Siegerin umspielte ihre Lippen. Sie bückte sich und nahm die Lampe an sich. Dann schüttelte sie ihre rechte Hand. Blut spritzte von der Klinge weg und klatschte gegen die Außenhaut der Ladung. Der Erste war erledigt.
Jetzt musste sie sich um den zweiten kümmern, danach um die anderen…
Andrej hatte vom Tod seines Kollegen nichts mitbekommen. Er durchwanderte einen anderen Teil des Frachtraums, ohne bisher etwas Verdächtiges bemerkt zu haben, und er konnte sich darüber trotzdem nicht freuen,
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