0797 - Rasputins Tochter
ihre Verbindungen mittlerweile europa- und sogar weltweit geknüpft hatte.
Es würde noch schlimmer werden als in den alten Zeiten, und manchmal gab es Tage, wo Wladimir verzweifelte. Da kam er sich so klein wie ein Zwerg vor, über dem eine gewaltige Wolke schwebte, die ihn irgendwann einmal zerdrücken würde.
Neben diesen ›normalen‹ Problemen gab es natürlich auch die anderen, die dämonischen, wie er immer sagte. Die Kräfte der Finsternis schliefen nicht, und sie griffen dort gern ein, wo sich die Menschen in einem Umbruch befanden und sich nicht so stark auf sie konzentrieren konnten.
Allein war das nicht zu schaffen. So hatte Wladimir sich einige Leute aussuchen können, denen er als Chef vorstand. Er hatte sie sehr sorgsam ausgewählt. Einige waren ihm von früher her bekannt, und er hoffte darauf, dass seine Männer den großen Versuchungen widerstehen konnten.
So waren die letzten Wochen wie im Fluge vergangen, und an seine englischen Freunde hatte er nicht gedacht. Auch die Kräfte der Finsternis hatten sich nicht mehr gemeldet.
Wladimir und seine Mitarbeiter versuchten, die Kindergewalt und auch die Kinderprostitution so gut wie möglich einzudämmen, was ihnen aber kaum gelingen würde, denn wer nur eine Chance sah, ein wenig aus dem Sumpf der Armut herauszukommen, ergriff sie.
Zwei Heime hatte er mittlerweile gründen können, die aus dem Westen durch Spenden gesponsert wurden. Allerdings war diese Brücke sehr brüchig, er wusste selbst nicht, wie lange sie noch halten würde, und er erwartete eigentlich jeden Tag neue Hiobsbotschaften.
Zunächst aber hatte ihn eine andere erreicht – am frühen Morgen und auf nüchternen Magen.
Vor der Küste von St. Petersburg, auf der Ostsee, war etwas Unbegreifliches geschehen. Dort war ein steuerlos dahintreibendes Schiff gekapert worden, auf dem es keinen lebenden Menschen mehr gegeben hatte. Alle vierzehn Besatzungsmitglieder waren getötet worden, vom Koch bis hin zum Kapitän.
Die Art und Weise war immer die gleiche: Mit einem Rasiermesser waren den Menschen die Kehlen durchgeschnitten worden.
Als der Russe diese Meldung gelesen hatte, war er leichenblass geworden. Er hatte seine Sekretärin gebeten, alle Besucher abzuwimmeln und ihn in den folgenden Stunden allein zu lassen und hockte hinter seinem Schreibtisch wie sein eigenes Gespenst.
Er saß da, hielt den Bericht der St. Petersburger Kollegen in der zitternden Hand, las ihn immer wieder, ohne die Sätze direkt mitzubekommen, weil die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen.
Was sich auf dem Schiff abgespielt hatte, war grauenhaft gewesen.
Ein furchtbares Massaker, für das er keine Erklärung hatte, das aber nicht aus der Welt geschafft werden konnte, denn die Toten waren fotografiert worden, und man hatte ihm die Bilder nach Moskau gefaxt.
Der Anblick trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Auch deshalb, weil Wladimir Golenkow nicht an ein normales Verbrechen glaubte.
Nein, da steckte mehr dahinter, da mussten seine ›Freunde‹ mitgemischt haben: Menschen und Dämonen. Möglicherweise waren sie einen unheiligen Pakt eingegangen.
Sein Verdacht kam nicht von ungefähr, er war begründet, denn es lag erst wenige Tage zurück, da hatte ihn ein Fax von seinen Londoner Freunden erreicht.
John Sinclair und Suko war eine Hexe namens Larissa durch die Lappen gegangen. Eine Person, die aus Russland gekommen war und in einer Londoner Bar gearbeitet hatte, denn dort standen Russenfrauen hoch im Kurs. Doch diese Larissa war anders gewesen.
Sie war ihren Weg gegangen, und sie, hatte vier Männer mit einem Rasiermesser getötet.
Und jetzt hatte man auf dem Schiff die anderen Toten gefunden, die auf die gleiche Art und Weise ums Leben gekommen waren. Golenkow glaubte nicht an einen Zufall, denn im Text des Fax war von Seiten der Engländer der Verdacht geäußert worden, dass sich Larissa möglicherweise in ihr Heimatland absetzen würde.
Sie hatte es also getan, sie war bereits da, und die Probleme türmten sich immer höher.
Wladimir ließ das Fax sinken. Sein Magen drückte, ohne dass er etwas gegessen hatte. Er drehte den Kopf und schaute durch das große Fenster nach draußen in den grauen Märztag hinein, der über der Metropole Moskaus lag. Ein Himmel so schmutzig wie alter Schiefer, aus dem hin und wieder Schnee rieselte.
Es war ein kalter und auch langer Winter gewesen, und es sah noch nicht nach einem Erwachen des Frühlings aus. Der Schnee bedeckte noch große Flächen der Stadt
Weitere Kostenlose Bücher