0797 - Rasputins Tochter
wie ein schmutziges Leichentuch, wobei der Vergleich für Wladimir stimmte, denn Moskau war für ihn zu einer Metropole der Toten geworden. Auch wenn er so dachte, tat dies seinem positiven Arbeitseifer dennoch keinen Abbruch. Er gestattete es sich, seine Depressionen zu akzeptieren.
An manchen Tagen war es besonders schlimm. Da hatte er den Eindruck, ständig Nackenschläge einstecken zu müssen. Das graue Wetter trug sein übriges dazu bei, die Stimmung des Mannes in den Keller rutschen zu lassen.
Er hatte sich Tee aufgeschüttet und wanderte mit der Tasse in der Hand zum Fenster. Er wollte seinen Plan noch einmal überdenken, aber da gab es nichts, was er anders gemacht hätte. Es war am besten, wenn er so handelte, wie er es sich vorgenommen hatte.
Mit der leeren Tasse in der Hand betrat er das Vorzimmer, wo Irina, seine Mitarbeiterin, saß. Sie arbeitete für ihn als Sekretärin, und er war froh über diese Hilfe.
Irina war eigentlich Lehrerin, aber irgendwie hatte sie keinen Job gekriegt. Ihr fehlten einfach die Verbindungen, trotz ihrer glänzenden Ausbildung. Auf Irina konnte sich Wladimir Golenkow verlassen. Zudem war sie eine Person, die es hinnahm, dass er sich nicht nur um die Moskauer Mafia kümmerte.
Die Frau mit den braunen, welligen Haaren schaute hoch, als sie ihren Chef eintreten sah. Sie nahm die Brille ab und wirkte ernst, als Wladimir mit dem Fax wedelte.
»Es ist schrecklich, nicht?«
»Ja, Irina, das kann man wohl sagen.« Golenkow legte das Fax in ein Ablagekörbchen. Der Kunststoff hob sich wie ein bunter Fremdkörper vom alten Holz des Schreibtischs ab. Golenkow nickte, und sein Gesicht zeigte dabei einen gedankenverlorenen Ausdruck.
»Ja, ich werde etwas unternehmen.«
»Das dachte ich mir«, erwiderte seine Sekretärin.
»Wissen Sie – oder nein«, er schüttelte den Kopf. »Können Sie sich noch an bestimmte Gespräche erinnern, die wir beide miteinander geführt haben? Es ging da um Dinge, die nicht so einfach zu begreifen sind. Sie wissen bestimmt, was ich meine?«
Ihre Antwort kam zögernd. »Ich denke schon, dass ich es weiß. Sie sprechen sicherlich von dem Anderen.«
»Stimmt, dem Unfassbaren, dem Unbegreiflichen, den Mächten, die uns oft über sind.«
»Dämonen!«
»Sie haben es wie immer auf den Punkt gebracht, Irina. Ich denke, dass die Männer auf dem Schiff keinem normalen Mordanschlag zum Opfer gefallen sind. Meiner Ansicht nach steckt eine andere Macht dahinter. Eine gefährliche und gleichzeitig kaum erklärbare Macht, die uns Menschen überlegen ist. Sie erinnern sich an die Meldung meiner Freunde aus London?«
»Daran habe ich sofort gedacht.«
»Sicherlich nicht zu Unrecht. Ich gehe davon aus, dass ihr Fall, den sie nicht lösen konnten, hier in unserem Land seine Fortsetzung nimmt. Diese Larissa ist aus London verschwunden. John Sinclair nahm an, dass sie versuchen würde, ihr Heimatland zu erreichen, und es sieht so aus, als hätte sie es geschafft.«
»Mit mehreren Toten als Einstand.« Irina schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Das ist schlimm.«
»Sie sagen es.«
»Und wie ich Sie kenne«, sagte sie lächelnd, »werden Sie Moskau bald verlassen.«
»Ich muss weg, ich muss ihre Spur aufnehmen. Es wird etwas dauern, bis wir aus London Hilfe erhalten. Vielleicht gelingt es mir, John und Suko den Weg zu ebnen.«
»Das wünsche ich uns.«
Wladimir lächelte. »Okay, lassen wir die schrecklichen Tatsachen zunächst mal beiseite, und kümmern wir uns um die Kommunikation. Wie sieht es aus? Welche Verbindung klappt besser: Telefon oder Fax?«
»Soll ich beides versuchen?«
»Ja.«
»Sie warten, Chef?«
Wladimir war bereits auf dem Rückweg in sein Büro. »Vielleicht fange ich schon an zu packen«, sagte er und schloss die Tür…
***
Im Prinzip beschäftigten uns mehrere Dinge gleichzeitig: Da waren zum einen die Templer, zum anderen mussten wir mit den Dienern des Teufels rechnen, dann war vor kurzem der Name Aleister Crowley aufgetaucht, ich dachte auch an die Kreaturen der Finsternis, oder an Magien aus Atlantis und Aibon.
All dies musste global betrachtet werden und schwebte permanent wie ein Kreis über unseren Köpfen, doch aus diesem Kreis hervor hatte sich in den letzten Tagen, wahrscheinlich auch deshalb, weil uns keine anderen Schwierigkeiten gemacht wurden, ein Frauenname herauskristallisiert.
Larissa!
Wir wussten viel und nichts über diese Person. Sie hatte vier Tote hinterlassen, sie war die eigentliche Königin der
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