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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Übermacht. Konnte man reichlich Truppen ins Gefecht schicken, musste man letztlich Sieger bleiben, solange man bereit war, zwei Drittel von ihnen zu opfern. Und mit solchen Verlusten rechneten die dortigen Militärs.
    Wer war dieser Kerl also?
    Die Special Forces der NATO legten bei Auswahl und Ausbildung großen Wert auf Ausdauer. Sie hatten Männer, die mit schwerem Gepäck achtzig Kilometer weit rannten. Sie ließen sie eine Woche lang ohne Schlaf in schrecklichem Gelände marschieren. Deshalb waren Angehörige von NATO-Elitetruppen im Allgemeinen drahtige kleine, wie Marathonläufer gebaute Burschen. Aber dieser Bulgare schien mindestens so groß zu sein wie ich. Vielleicht sogar größer, zwei Meter, und hundertzehn Kilo schwer. Sein Schädel war kahl rasiert. Er hatte ein breites, quadratisches Gesicht, das je nach Beleuchtung brutal schlicht oder halbwegs gut aussehen konnte. Im Augenblick beleuchtete die Neonröhre an der Decke seiner Zelle es nicht sehr vorteilhaft. Er sah müde aus. Seine eng beieinander liegenden Augen saßen tief in ihren Höhlen. Er war ein paar Jahre älter als ich, so um die Anfang dreißig, und hatte riesige Pranken. Er trug einen ganz neuen Kampfanzug mit Tarnmuster »Waldland«,
ohne Namensschild, ohne Dienstgradabzeichen, ohne Aufnäher seiner Einheit.
    »Aufstehen, Soldat«, befahl ich.
    Er legte sein Buch neben sich aufs Bett: sorgfältig, aufgeschlagen und mit der Schrift nach unten, als wollte er die Stelle, wo er zuletzt gewesen war, gleich wiederfinden.
     
    Wir legten ihm Handschellen an und führten ihn ohne Umstände zu unserem Humvee. Trifonow verhielt sich ruhig. Er schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben, als wisse er, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis all die verschiedenen Logbücher in seinem Leben ihn verrieten.
    Wir nahmen ihn mit und brachten ihn ohne Probleme in mein Dienstzimmer. Dort wiesen wir ihm einen Stuhl an, nahmen ihm die Handschellen ab und fesselten damit sein rechtes Handgelenk an ein Stuhlbein. Diesen Vorgang wiederholten wir mit dem linken Handgelenk. Er hatte gewaltige Handgelenke, so dick wie die Fußgelenke der meisten Männer.
    Summer stand neben der Wandkarte und starrte die Stecknadeln an, als wollte sie seinen Blick darauf lenken und damit sagen: Wir wissen alles .
    Ich nahm hinter dem Schreibtisch Platz.
    »Wie heißen Sie?«, fragte ich. »Fürs Protokoll?«
    »Trifonow«, antwortete er. Er sprach kehlig, abgehackt, mit starkem Akzent.
    »Vorname?«
    »Slawi.«
    »Slawi Trifonow«, sagte ich. »Dienstgrad?«
    »Zu Hause war ich Oberst. Jetzt bin ich Sergeant.«
    »Wo sind Sie zu Hause?«
    »Sofia«, sagte er. »Bulgarien.«
    »Für einen Oberst sind Sie sehr jung.«
    »Ich war auf meinem Fachgebiet sehr gut.«
    »Und welches Fachgebiet war das?«
    Er schwieg.

    »Sie haben ein schönes Auto«, sagte ich.
    »Danke. Von einem Wagen dieser Art habe ich immer geträumt.«
    »Wo waren Sie damit in der Nacht zum fünften Januar?«
    Er gab keine Antwort.
    »In Bulgarien gibt es keine Special Forces«, sagte ich.
    »Das ist richtig.«
    »Was haben Sie also dort gemacht?«
    »Ich war im regulären Heer.«
    »Als was?«
    »Als Verbindungsoffizier zwischen dem bulgarischen Heer, der bulgarischen Geheimpolizei und unseren Freunden, den sowjetischen Wysotniki.«
    »Qualifikation?«
    »Fünf Jahre Ausbildung bei der GRU.«
    »Die was ist?«
    Er lächelte. »Ich glaube, das wissen Sie.«
    Ich nickte. Die sowjetische GRU, der militärische Geheimdienst, war eine Kreuzung zwischen Militärpolizei und Delta Force. Verdammt harte Burschen, die im In- und Ausland gleichermaßen brutal agierten.
    »Was tun Sie hier?«, fragte ich.
    »In Amerika?«, sagte er. »Ich warte.«
    »Worauf?«
    »Auf das Ende der kommunistischen Besetzung meiner Heimat. Es wird bald kommen, glaube ich. Dann gehe ich zurück. Ich bin stolz auf Bulgarien. Es ist ein schönes Land mit schönen Menschen. Ich bin ein Nationalist.«
    »Worin haben Sie die Delta Force unterrichtet?«
    »In Dingen, die jetzt veraltet sind. Wie man sich gegen das wehrt, wofür ich ausgebildet worden bin. Aber dieser Kampf ist meiner Meinung nach vorbei. Ihr habt gewonnen.«
    »Sie müssen uns sagen, wo Sie sich in der Nacht zum fünften Januar aufhielten.«
    Er schwieg.

    »Weshalb sind Sie übergelaufen?«
    »Weil ich ein Patriot bin«, lautete seine Antwort.
    »Erst in letzter Zeit?«
    »Ich war immer ein Patriot. Aber ich wäre fast enttarnt worden.«
    »Wie sind Sie

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