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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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»Fahren wir also nach Cape Fear.«
     
    Wir ließen Trifonow in Handschellen und setzten ihn hinten in das MP-Humvee. Summer fuhr. Cape Fear lag an der Atlantikküste, ungefähr hundert Meilen südöstlich von Fort Bird. Im Humvee war die Fahrt langweilig. In einer Corvette wäre es anders gewesen, obwohl ich mich nicht entsinnen konnte, jemals in einer gesessen zu haben. Ich hatte nie jemanden gekannt, der eine besaß.
    Und ich war noch nie in Cape Fear gewesen. Es gehörte zu den vielen Orten in Amerika, die ich nie besucht hatte. Ich kannte allerdings den Film. Ein Schwarzweißfilm, in dem Gregory Peck irgendwelche Schwierigkeiten mit Robert Mitchum hatte. Gute Unterhaltung, soweit ich mich erinnerte, aber im Prinzip ärgerlich. Im Publikum war oft höhnisch gejohlt worden. Robert Mitchum hätte schon im Verlauf der ersten Filmrolle erledigt werden müssen. Zivilisten zuzusehen, wie sie herumeierten, nur damit die Story neunzig Minuten füllte, war für Soldaten nicht besonders unterhaltsam.
    Es war längst dunkel, bevor wir auch nur in die Nähe unseres
Fahrtziels gelangten. Weit vor Wilmington kamen wir an einer Werbetafel vorbei, auf der der Ort als historische und malerische alte Hafenstadt angepriesen wurde. Doch wir ignorierten sie, weil Trifonow uns vom Rücksitz aus anwies, links abzubiegen und den Weg durch Marschen zu nehmen. Wir fuhren bei stockfinsterer Nacht durch eine Art Niemandsland und bogen erneut links ab - diesmal in Richtung Southport.
    »Cape Fear liegt vor Southport«, erklärte Summer. »Es ist eine Insel im Atlantik. Über eine Brücke zu erreichen, glaube ich.«
    Wir machten jedoch weit vor der Küste Halt und fuhren nicht mal nach Southport hinein. Trifonow meldete sich wieder, als rechts vor uns eine Wohnwagensiedlung auftauchte. Sie lag auf einer großen, ebenen Fläche aus rekultiviertem Land. Anscheinend hatte jemand einen Sumpf ausgebaggert, um einen See anzulegen und mit dem Aushubmaterial eine Fläche von der Größe einiger Footballfelder aufzuschütten. Sie war von Dränagegräben umgeben, und Elektrizität wurde auf Holzmasten herangeführt. Auf der rechteckigen Fläche standen ungefähr hundert Wohnwagen verteilt. Unsere Scheinwerfer ließen erkennen, dass manche von ihnen luxuriöse, auf doppelte Breite ausfahrbare Mobilheime mit Anbauten, bepflanzten Vorgärten und Palisadenzäunen waren. Andere sahen schlicht und zerbeult aus. Wieder andere waren von ihren Hohlblocksteinen gekippt und aufgegeben worden. Der Platz lag ungefähr zehn Meilen landeinwärts.
    »Hier«, sagte Trifonow. »Rechts abbiegen.«
    Von einer breiten Mittelstraße zweigten links und rechts schmalere Stichstraßen ab. Trifonow dirigierte uns durch das Labyrinth, bis wir einen klapprigen limonengrünen Wohnwagen erreichten, der schon bessere Tage gesehen hatte. Sein Lack blätterte ab, und das Notdach aus Dachpappe war wellig. Wir sahen einen rauchenden Schornstein und hinter den Fenstern den bläulichen Lichtschein eines Fernsehers.
    »Sie heißt Elena«, sagte Trifonow.

    Wir ließen ihn im Humvee eingesperrt zurück. Klopften an Elenas Tür. Die Frau, die sie öffnete, hätte sofort einen Lexikonartikel unter F wie Frauen, misshandelte illustrieren können. Sie sah schrecklich aus. Rund um die Augen hatte sie gelbe Stellen, die blaue Flecken gewesen waren, und ihre Nase war nach einem Bruch ein wenig schief zusammengeheilt. Sie hielt sich auf eine Art, die an vergangene Schmerzen und Beschwerden, vielleicht sogar an vor kurzem gebrochene Rippen denken ließ. Zu einem dünnen Hauskittel trug sie Männerschuhe. Aber ihre Kleidung wirkte sauber. Sie war frisch geduscht und hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In ihren Augen blitzte etwas auf, vielleicht ein gewisser Stolz oder Befriedigung darüber, überlebt zu haben. Sie betrachtete uns nervös.
    »Ja?«, sagte sie. »Sie wünschen?« Sie sprach mit dem gleichen Akzent wie Trifonow, aber in einer höheren Tonlage, was ganz reizvoll klang.
    »Wir müssen mit Ihnen reden«, antwortete Summer sanft.
    »Worüber?«
    »Über das, was Slawi Trifonow für Sie getan hat«, erklärte ich.
    »Er hat nichts getan«, sagte sie.
    »Aber Sie kennen den Namen.«
    Sie überlegte.
    »Bitte, treten Sie ein«, sagte sie.
    Wahrscheinlich hatte ich drinnen eine Art Chaos erwartet. Vielleicht herumliegende leere Flaschen, übervolle Aschenbecher, Schmutz und Unordnung. Aber der Wohnwagen sah sauber und aufgeräumt aus. Alles schien an seinem Platz zu sein.

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