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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Atelieraufnahmen zurück und
fand sie dort. Auf diesem Foto trug sie eine Art Schuluniform und schien ungefähr sechzehn zu sein. Unter der Aufnahme stand: Béatrice en 1947. Béatrice im Jahr 1947. Ich blätterte im Buch vor und zurück, bis ich mir einen Überblick über den Inhalt von Lamonniers Bericht verschafft hatte. Damit die menschliche Eisenbahn funktionieren konnte, hatten zwei Probleme gelöst werden müssen. Abgeschossene alliierte Flieger zu finden, gehörte nicht dazu. Sie fielen über Holland buchstäblich vom Himmel - in jeder Neumondnacht zu Dutzenden. Erreichte die Résistance sie zuerst, hatten sie noch eine Chance. War die Wehrmacht als Erste da, hatten sie keine. Sie mussten einfach Glück haben. Kam die Résistance vor den Deutschen, versteckte man sie, tauschte ihre Uniformen gegen unauffällige Kleidung und stattete sie mit gefälschten Papieren aus. Fahrkarten wurden gekauft, ein Führer begleitete sie auf der Zugfahrt nach Paris, und so begann die erste Etappe ihrer Heimreise.
    Vielleicht.
    Das erste taktische Problem stellten zufällige Kontrollen im Zug dar. Die alliierten Flieger waren blonde, wohl genährte Farmerjungen aus Amerika, rothaarige Engländer und Schotten oder sonstige Typen, die nicht wie schwarzhaarige, unterernährte und vom Krieg gezeichnete Franzosen aussahen. Sie fielen sofort auf. Und sie sprachen kein Französisch. Das erforderte alle möglichen Täuschungsmanöver. Sie stellten sich schlafend oder krank oder taubstumm. Reden durften nur die Kuriere, von denen sie begleitet wurden.
    Das zweite taktische Problem war die Durchquerung von Paris selbst. In Paris wimmelte es von Deutschen. Überall gab es Kontrollpunkte. Unbeholfene, nicht ortskundige Ausländer fielen sofort auf. Privatautos fuhren praktisch keine mehr. Taxis waren schwer aufzutreiben. Benzin war streng rationiert. Männer in Begleitung weiterer Männer waren sofort verdächtig. Deshalb übernahmen Frauen die Führung. Und dann verfiel Lamonnier auf den Trick, dafür ein Mädchen einzusetzen, das er kannte. Die Kleine holte die Flieger am Gare du Nord ab und
führte sie durch die Straßen zum Gare de Lyon. Sie lachte und hüpfte zwischen ihnen dahin und hielt sie an den Händen, als wären die Männer ihre älteren Brüder oder Onkel auf Besuch. Ihre Art war entwaffnend. So passierte sie mit ihren Begleitern jeden Kontrollposten. Sie war damals dreizehn.
    Jeder in der Organisation trug einen Decknamen. Ihrer war Béatrice, Lammoniers Pierre.
    Ich nahm das blaue Schmucketui aus der Schachtel, klappte es auf. Auf dem Samtkissen lag ein Orden - die Medaille de la Résistance . Der Orden bestand aus Gold und hing an einem Seidenband in den französischen Farben. Ich drehte ihn um. Auf der Rückseite war ein Name eingraviert: Josephine Moutier . Meine Mutter.
    »Hat sie dir niemals davon erzählt?«, fragte Summer.
    Ich schüttelte den Kopf. »Kein Wort. Niemals.«
    Dann warf ich erneut einen Blick in die Schachtel. Was zum Teufel hat die Garotte zu bedeuten?
    »Ruf Joe an«, sagte ich. »Sag ihm, dass wir kommen und er dafür sorgen soll, dass Lamonnier auch anwesend ist.«
     
    Eine Viertelstunde später trafen wir in Mutters Wohnung ein. Lamonnier war schon da. Vielleicht war er nie weggegangen. Ich gab Joe die Schachtel und forderte ihn auf, sich den Inhalt anzusehen. Er begriff schneller als ich, weil er mit dem Orden anfing. Der Name auf der Rückseite brachte ihn auf die richtige Spur. Er blätterte in dem Buch und sah zu Lamonnier, als er sein Foto auf der hinteren Umschlagklappe erkannte. Dann überflog er den Text. Betrachtete die Abbildungen. Sah zu mir.
    »Hat sie dir jemals davon erzählt?«, fragte er.
    »Niemals. Dir?«
    »Nein«, sagte er.
    Ich wandte mich an Lamonnier. »Was hat die Garotte zu bedeuten?«
    Lamonnier schwieg.
    »Erzählen Sie’s uns«, bat ich.

    »Sie ist enttarnt worden«, erklärte er. »Von einem Mitschüler. Von einem Jungen in ihrem Alter. Ein widerlicher Kerl, der Sohn von Kollaborateuren. Er hat sie damit gequält, ihr auszumalen, was er tun würde.«
    »Was hat er getan?«
    »Anfangs gar nichts. Für Ihre Mutter war das höchst beunruhigend. Dann verlangte er als Preis für sein weiteres Schweigen unsägliche Dinge. Ihre Mutter weigerte sich natürlich. Er drohte ihr, sie anzuzeigen. Also gab sie vor, auf seine Wünsche einzugehen. Sie vereinbarte ein Rendezvous mit ihm - spät abends unter dem Pont des Invalides. Dazu musste sie sich heimlich aus dem Haus

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