08-Die Abschussliste
habe. Die können uns sagen, ob er etwas enthalten hat, das uns Sorgen machen muss.«
»Sie können die beiden nicht finden?«
»Nein«, sagte er. »Sie haben das Hotel verlassen, sind aber nicht nach Kalifornien geflogen. Niemand scheint zu wissen, wo zum Teufel sie stecken.«
Garber ging, um in die Stadt zurückzukehren. Summer und ich stiegen ins Auto und fuhren wieder nach Süden. Es war kalt, und draußen wurde es rasch dunkel. Ich erbot mich, ein Stück zu fahren, aber das ließ Summer nicht zu. Autofahren schien ihre Hauptleidenschaft zu sein.
»Oberst Garber war etwas gereizt«, stellte sie fest. Ihre Stimme klang enttäuscht wie die einer Schauspielerin, die beim Vorsprechen durchgefallen ist.
»Er hat sich schuldig gefühlt«, sagte ich.
»Weshalb?«
»Weil er Mrs. Kramer umgebracht hat.«
Sie starrte mich an, während sie ungefähr mit neunzig dahinbrauste.
»Gewissermaßen«, sagte ich.
»Wodurch?«
»Das Ganze war kein Zufall.«
»Die Pathologin hat etwas anderes gesagt.«
»Kramer ist eines natürlichen Todes gestorben. Das hat die Pathologin gesagt. Aber irgendetwas an diesem Ereignis hat dazu geführt, dass Mrs. Kramer ermordet wurde. Und Garber hat die Sache ins Rollen gebracht. Durch seinen Anruf beim XII. Korps. Er hat Kramers Tod gemeldet, und binnen zwei Stunden war die Witwe ebenfalls tot.«
»Was geht hier also vor?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer«, erwiderte ich.
»Und was ist mit Vassell und Coomer?«, fragte sie. »Sie waren ein verschworenes Trio. Kramer ist tot, seine Frau auch, und die beiden anderen werden vermisst?«
»Sie haben gehört, was der Mann gesagt hat. Für den Fall Kramer sind wir nicht zuständig.«
»Sie wollen also nichts unternehmen?«
»Ich werde mich auf die Suche nach einer Nutte machen.«
Wir wählten die kürzeste Route direkt zum Motel und dem Striplokal. Die Streckenwahl lag auf der Hand. Erst der Washington Beltway, anschließend die I-95. Am Neujahrstag herrschte geringer Verkehr. Die Welt außerhalb unseres Wagens sah dunkel, still, kalt und verschlafen aus. Überall flammten Lichter auf. Summer fuhr verdammt schnell. Die Strecke, für die Kramer vermutlich sechs Stunden gebraucht hatte, würden wir in weniger als fünf zurücklegen. Wir hielten rechtzeitig an, um zu tanken, und besorgten uns altbackene Sandwichs, die noch aus dem Vorjahr stammten. Dann verbrachte ich zwanzig Minuten damit, Summer zu beobachten. Sie hatte kleine, gepflegte Hände, die das Lenkrad locker umfassten. Alle paar Minuten fuhr sie sich mit der Zungenspitze über ihre leicht geöffneten Lippen.
»Reden Sie mit mir«, sagte ich.
»Worüber?«
»Irgendwas. Erzählen Sie mir Ihre Lebensgeschichte.«
»Wozu?«
»Weil ich müde bin«, sagte ich. »Um mich wach zu halten.«
»Nicht sehr interessant.«
»Versuchen Sie’s.«
Also zuckte sie mit den Schultern und begann mit dem Anfang - außerhalb von Birmingham, Alabama, Mitte der sechziger Jahre. Sie sagte nichts Negatives darüber, vermittelte jedoch den Eindruck, sie habe schon damals gewusst, dass man besser aufwachsen könne, als damals in Alabama ein Kind armer schwarzer Eltern gewesen zu sein. Sie hatte Brüder und Schwestern. Sie war immer klein gewesen, aber flink und behände und verstand es, ihr Talent für Gymnastik, Tanz und Seilspringen so einzusetzen, dass man in der Schule auf sie aufmerksam wurde. Sie tat sich auch in den Lernfächern hervor und sicherte sich so verschiedene kleine Stipendien, mit denen sie ein College in Georgia besuchen konnte. Dort nahm sie an der Reserveoffiziersausbildung im ROTC teil. Als dann im dritten Studienjahr ihre Stipendien ausliefen, finanzierte die Army ihr restliches Studium, wofür sie sich zu fünf Jahren Militärdienst verpflichten musste. Diese Zeit war inzwischen halb um. Die MP School hatte sie mit Auszeichnung absolviert. In der Army schien es ihr zu gefallen. Beim Militär gab es seit vier Jahrzehnten keine Rassenschranken mehr, und sie meinte, ihrer Erfahrung nach sei es die farbenblindeste Organisation Amerikas. Lediglich in Bezug auf die eigene Karriere wirkte sie ein wenig frustriert. Ich vermutete, mit ihrem Versetzungsgesuch zum 110th Special Unit hatte sie alles auf eine Karte gesetzt. Schaffte sie’s, wollte sie wie ich Berufsoffizier werden. Andernfalls würde sie nach fünf Jahren ihren Abschied nehmen.
»Erzählen Sie mir jetzt Ihr Leben«, forderte sie mich auf.
»Meines?«, fragte ich. Meines war auf jede nur denkbare Weise
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