08-Die Abschussliste
sie.
»Gleichfalls.«
»Ich hab dich noch nie hier gesehen«, flötete sie, als sei ich das Einzige, was ihr noch zu ihrem Glück fehlte. Ihrem Akzent
nach stammte sie nicht von hier, nicht aus den Carolinas und nicht aus Kalifornien. Wahrscheinlich aus Georgia oder Alabama.
»Bist wohl neu in der Stadt?«, fragte sie - wegen der Musik ziemlich laut.
Ich lächelte. Ich war schon in mehr Bordellen gewesen, als ich hätte zählen können. Das galt für alle Militärpolizisten. Alle Bordelle sind gleich, und trotzdem ist jedes anders. Es gelten überall unterschiedliche Anbahnungsregeln. Aber die Bist-duneu-in-der-Stadt- Frage war der übliche Eröffnungszug. Er forderte mich auf, die Verhandlungen zu beginnen. So konnte sie nicht dafür belangt werden, dass sie einen Freier angesprochen hatte.
»Wie sieht der Deal hier aus?«, fragte ich.
Sie lächelte schüchtern, als sei sie das noch nie gefragt worden. Dann erklärte sie mir, ich könne sie für einen Dollar Trinkgeld auf der Bühne sehen oder zehn Dollar für eine Privatshow im Hinterzimmer ausgeben. Zu einer Privatshow könne auch Anfassen gehören, und damit ich auch bestimmt gut zuhörte, ließ sie die linke Hand an der Innenseite meines rechten Schenkels nach oben gleiten.
Mir war klar, dass man hier als Mann leicht in Versuchung geraten konnte. Sie war ungefähr zwanzig und bildhübsch. Bis auf ihre Augen. Die waren die einer Fünfzigjährigen.
»Wie wär’s mit etwas mehr?«, fragte ich. »Könnten wir irgendwo hingehen?«
»Darüber reden wir während der Privatshow.«
Sie nahm mich bei der Hand und führte mich an der Tür zur Garderobe vorbei und durch einen Samtvorhang in einen nur schummrig beleuchteten, ungefähr sechs mal neun Meter großen Raum hinter der Bühne. Um alle vier Wände verlief eine Polsterbank. Er kam mir auch nicht besonders privat vor. Hier drinnen saßen sechs Kerle, von denen jeder eine nackte Frau auf dem Schoß hatte. Die Blondine führte mich zu einem freien Platz und drückte mich sanft auf die Bank. Sie wartete, bis ich
die Geldbörse zückte und ihr den Zehner gab. Dann ließ sie sich auf meinem Schoß nieder und kuschelte sich an mich. Ihre Haltung machte es mir praktisch unmöglich, meine Hand nicht auf ihren Oberschenkel zu legen. Ihre Haut fühlte sich glatt und warm an.
»Wohin können wir also gehen?«, fragte ich.
»Du hast’s aber eilig!«, sagte sie. Als sie sich lasziv räkelte, rutschte der Saum ihres Minikleids bis zu den Hüften hinauf. Sie hatte darunter nichts an.
»Woher kommst du?«, fragte ich.
»Atlanta.«
»Wie heißt du?«
»Sin«, sagte sie. »S-i-n buchstabiert.«
Ich konnte mir denken, dass das ein Künstlername war.
»Und wie heißt du?«, erkundigte sie sich.
»Reacher«, erwiderte ich. Es wäre zwecklos gewesen, einen anderen Namen zu nennen. Ich kam eben vom Besuch bei der Witwe, trug noch meinen Dienstanzug und hatte ein großes, auffälliges Namensschild an der rechten Brusttasche.
»Ein netter Name«, bemerkte sie automatisch. Bestimmt sagte sie das zu jedem. Quasimodo, Hitler, Stalin, Pol Pot, ein netter Name. Sie begann, mein Uniformjackett aufzuknöpfen, schob ihre Finger dann unter der Krawatte ins Hemd, sodass sie zart meine Haut berührten.
»Drüben auf der anderen Straßenseite gibt’s ein Motel«, sagte ich.
Ihr Kopf nickte an meiner Schulter.
»Ja, ich weiß.«
»Ich suche die Frau, die gestern Abend mit einem Soldaten rübergegangen ist.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Nein.«
Sie stemmte sich von meiner Brust ab. »Bist du hier, um Spaß zu haben, oder willst du Fragen stellen?«
»Fragen stellen«, antwortete ich.
Sie hörte auf, sich zu bewegen. Schwieg.
»Ich suche die Frau, die gestern Abend mit einem Soldaten ins Motel rübergegangen ist.«
»Sei doch realistisch«, sagte sie. »Wir gehen alle mit Soldaten ins Motel rüber. In den Asphalt ist praktisch schon eine Furche eingegraben. Wenn du genau hinsiehst, kannst du sie erkennen.«
»Ich suche eine Frau, die vielleicht ein bisschen früher als normal zurückgekommen ist.«
Schweigen.
»Vielleicht ein bisschen verängstigt.«
Schweigen.
»Vielleicht hat sie sich mit dem Kerl gleich drüben getroffen«, erklärte ich. »Vielleicht hat sie vorher einen Anruf bekommen.«
Sie hob ihren Hintern von meinen Knien und zog ihr Kleid so weit wie möglich herunter. Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen über mein Reversabzeichen.
»Wir beantworten keine Fragen«, sagte sie.
»Warum nicht?«
Ich
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