08-Die Abschussliste
anders. Hautfarbe, Geschlecht, Geographie, Lebensverhältnisse. »Ich bin in Berlin geboren. Damals ist man sieben Tage im Krankenhaus geblieben, also war ich eine Woche alt, als
ich zum Militär kam. Ich bin auf sämtlichen Stützpunkten, die wir haben, aufgewachsen. Ich war in West Point und bin immer noch beim Militär. Dort werde ich auch bleiben. Das ist eigentlich schon alles.«
»Haben Sie Familie?«
Ich dachte an die Notiz meiner Sergeantin. Ihr Bruder hat angerufen. Keine Nachricht.
»Eine Mutter und einen Bruder«, sagte ich.
»Jemals verheiratet gewesen?«
»Nein. Sie?«
»Nein. Mit jemandem zusammen?«
»Nicht im Augenblick.«
»Ich auch nicht.«
Wir schwiegen eine Weile.
»Können Sie sich ein Leben außerhalb der Army vorstellen?«, fragte sie dann.
»Gibt’s denn eines?«
»Ich bin dort draußen aufgewachsen. Vielleicht gehe ich wieder dorthin zurück.«
»Ihr Zivilisten seid mir ein Rätsel«, sagte ich.
Etwas weniger als fünf Stunden nach unserer Abfahrt aus Washington parkte Summer vor Kramers Motelzimmer - um der Authentizität willen, glaubte ich. Sie schien mit unserem Schnitt zufrieden zu sein, stellte den Motor ab und lächelte.
»Ich übernehme das Striplokal«, sagte ich. »Sie reden mit dem Jüngling am Empfang. Spielen Sie den guten Cop. Erklären Sie ihm, dass der böse Cop gleich nachkommt.«
Wir stiegen aus. Wieder hatte sich Nebel herabgesenkt, den die Straßenlampen kaum durchdrangen. Ich fühlte mich verspannt und sehnte mich nach Sauerstoff. Ich reckte mich, gähnte, zog mein Jackett zurecht und beobachtete, wie Summer an dem Colaautomaten vorbeiging. Dann überquerte ich die Straße und hielt auf die Bar zu.
Der Parkplatz war so voll wie am Vorabend. Rings um das Gebäude standen Autos und Pick-ups. Die Ventilatoren arbeiteten wieder auf Hochtouren. Ich konnte Rauchschwaden in der Luft sehen, Bierdunst riechen und Musik wummern hören. Die Leuchtreklamen strahlten hell.
Ich zog die Tür auf und trat in den Lärm. Der Laden war wie in der Nacht zuvor gerammelt voll. Dieselben Spots brannten. Auf der Bühne produzierte sich eine andere Stripperin. Im Halbschatten hinter der Kasse saß wieder der Typ mit dem Ölfassbrustkorb. Ich konnte sein Gesicht auch diesmal nicht sehen, aber ich wusste, dass er die Aufschläge meines Jacketts begutachtete. Wo Kramer die gekreuzten Säbel der Panzertruppe mit einem angreifenden Panzer darüber getragen hatte, befanden sich bei mir die goldblitzenden gekreuzten Steinschlosspistolen der Militärpolizei. In einem Etablissement wie diesem kein sehr beliebter Anblick.
»Hier kostet’s Eintritt«, sagte der Kerl.
Er war wegen der lauten Musik kaum zu verstehen.
»Wie viel?«, fragte ich.
»Hundert Dollar«, erwiderte er.
»Wohl kaum.«
»Okay, zweihundert Dollar.«
»Lächerlich«, meinte ich.
»Ich mag hier drin keine Cops.«
»Kann mir nicht vorstellen, warum.«
»Sehen Sie mich an.«
Ich tat es. Viel gab es nicht zu sehen. Der helle Rand eines nach unten strahlenden Spots beleuchtete einen gewaltigen Wanst samt einem mächtigen Brustkorb, tätowierte, dicke, kurze Unterarme und Hände von der Größe und Form eines Tiefkühlhähnchens mit schweren Silberringen an den meisten Fingern. Aber Schultern und Gesicht des Mannes blieben im Schatten. Als sitze er halb hinter einem Vorhang versteckt. Ich sprach mit einem Typen, den ich nicht sehen konnte.
»Sie sind hier nicht willkommen«, sagte er.
»Das kann ich verkraften. Ich bin nicht übermäßig empfindlich.«
»Sie hören nicht zu«, sagte er. »Dies ist mein Lokal, und ich will Sie nicht hier haben.«
»Ich bleibe nicht lange.«
»Gehen Sie jetzt.«
»Nein.«
»Sehen Sie mich an.«
Er beugte sich nach vorn ins Licht. Langsam. Der nach unten gerichtete Spot wanderte über seine Brust nach oben. Über den Hals hinauf. Erreichte sein Gesicht. Ein unglaubliches Gesicht. Es war von einem Gitterwerk aus Rasiermesserschnitten überzogen. Die Narben sahen tief, weiß und alt aus. Sein Nasenbein schien mehrfach zertrümmert und schlecht wieder zusammengeflickt worden zu sein. Die Augenbrauen wirkten dick vernarbt. Unter ihnen starrten mich zwei kleine Augen bösartig funkelnd an. Der Kerl war ungefähr vierzig, etwa eins fünfundsiebzig groß und hundertdreißig Kilo schwer. Er sah wie ein Gladiator aus, der zwanzig Jahre lang in den Tiefen der Katakomben sein Leben gefristet hatte.
Ich grinste. »Dieser Trick mit dem Gesicht soll mir wohl imponieren? Mit
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