08-Die Abschussliste
Goldfischglas ist’s schwierig, eine Affäre lange geheim zu halten.«
»Unlogisch«, entgegnete ich. »Wieso hätte jemand in dem Haus in Virginia eingebrochen, wenn die Sache mit Kramer und Norton bekannt war?«
»Okay, vielleicht haben sie’s doch nicht gewusst . Vielleicht hat sie nur auf einer Liste möglicher Leute gestanden. Vielleicht ganz weit unten. Vielleicht war ihre Affäre nach allgemeiner Überzeugung längst beendet.«
Ich nickte. »Was können wir von ihr bekommen?«
»Sie kann uns bestätigen, dass Vassell und Coomer den Aktenkoffer gestern Abend von ihr übernommen haben. Das würde beweisen, dass sie auf der Suche nach ihm waren, womit sie in Bezug auf Mrs. Kramer verdächtig wären.«
»Sie haben von ihrem Hotel aus nicht telefoniert und hatten keine Zeit, selbst nach Green Valley zu fahren. Deshalb stehen sie nicht unter Verdacht, glaube ich. Was können wir noch erwarten?«
»Wir können absolut sicher sein, was mit der Tagesordnung passiert ist und dass Vassell und Coomer sie zurückbekommen haben. Dann kann zumindest die Army aufatmen, weil sie nun weiß, dass sie nicht auf einem Müllhaufen gelandet ist, auf dem irgendein Journalist sie finden kann.«
Ich nickte. Schwieg.
»Und vielleicht hat Norton sie gesehen«, fuhr Summer fort. »Hat sie vielleicht gelesen. Vielleicht kann sie uns sagen, was an dieser ganzen Aufregung schuld war.«
»Das klingt verlockend.«
»Allerdings.«
»Können wir einfach hingehen und sie fragen?«
»Sie sind vom Hundertzehnten. Sie können jeden alles fragen.«
»Ich muss unter Willards Radar bleiben.«
»Sie weiß nicht, dass er Ihnen verboten hat, sich weiter mit diesem Fall zu befassen.«
»Doch, das weiß sie. Er hat nach der Sache mit Carbone mit ihr gesprochen.«
»Ich denke, wir müssen trotzdem mit ihr reden.«
»Das wird verdammt schwierig«, sagte ich. »Sie könnte sich leicht beleidigt fühlen.«
»Aber nur, wenn wir’s falsch anstellen.«
»Wie gut sind die Chancen, es richtig zu machen?«
»Vielleicht können wir die Situation etwas manipulieren. Es wird einen gewissen Peinlichkeitsfaktor geben. Sie wird nicht wollen, dass ihre Affäre mit Kramer bekannt wird.«
»Aber wir dürfen sie nicht so provozieren, dass sie Willard anruft.«
»Haben Sie Angst vor ihm?«
»Ich habe Angst davor, was er bürokratisch gegen uns unternehmen kann. Niemandem ist geholfen, wenn wir beide nach Alaska versetzt werden.«
»Das müssen Sie entscheiden.«
Ich schwieg eine Weile. Erinnerte mich an Kramers Hardcoverbuch. Heute war, wie am 13. Juli 1943, der entscheidende Tag der Panzerschlacht bei Kursk. Wir befanden uns in der gleichen Lage wie der sowjetische Marschall Alexander Wassilewski. Griffen wir jetzt, in diesem Augenblick an, mussten wir immer wieder angreifen, bis der Gegner geschlagen und der
Krieg gewonnen war. Geriet unser Angriff ins Stocken, oder gönnten wir uns auch nur eine Verschnaufpause, konnten wir erneut überrannt werden.
»Okay«, sagte ich. »Packen wir’s also an.«
Wir fanden Andrea Norton in der Lounge des O Clubs. Ich fragte sie, ob wir sie für ein paar Minuten in ihrem Dienstzimmer sprechen könnten. Ich merkte, dass sie nicht wusste, weshalb. Ich sagte ihr, die Angelegenheit sei vertraulich. Sie zerbrach sich weiter den Kopf. Willard hatte ihr erklärt, der Fall Carbone sei abgeschlossen, und sie wusste nicht, was wir sonst von ihr wollten. Aber sie stimmte zu. Sie würde uns in einer halben Stunde in ihrem Dienstzimmer erwarten.
Summer und ich verbrachten die halbe Stunde, indem wir in meinem Dienstzimmer ihre Liste mit Leuten durchgingen, die sich zum Zeitpunkt von Carbones Ermordung auf dem Stützpunkt aufgehalten hatten oder nicht. Der meterlange Computerausdruck war wie eine Ziehharmonika zusammengelegt und ergab einen über zwei Zentimeter dicken Stapel. In jeder Zeile stand ein Name mit Dienstgrad und Stammnummer in blasser Nadeldruckerschrift. Hinter fast allen Namen war ein Häkchen zu sehen.
»Was bedeuten die Häkchen?«, fragte ich Summer. »Hier oder nicht hier?«
»Hier«, antwortete sie.
Ich nickte. Das hatte ich befürchtet. Ich ließ einen Daumen über den Rand der Ziehharmonika gleiten.
»Wie viele?«, fragte ich.
»Fast zwölfhundert.«
Im Prinzip war es nicht besonders schwierig, zwölfhundert Personen zu überprüfen, um einen einzelnen Täter zu finden. Bei polizeilichen Ermittlungen war der Kreis potenzieller Täter oft viel größer. In Korea hatte es Fälle gegeben,
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