08 - Ehrenschuld
sagte Chris Cook.
Nagumo blickte auf den Teppich im Wohnzimmer hinunter. Er war von den Ereignissen der letzten Tage dermaßen niedergeschmettert, daß er nicht einmal Zorn empfinden konnte. Es war so, wie wenn man entdeckt, daß der Weltuntergang naht und man nichts dagegen tun kann. Angeblich war er ein mittlerer Beamter im auswärtigen Dienst, der bei den Verhandlungen auf höherer Ebene keine Rolle spielte. Aber das war nur Schau. Er hatte die Aufgabe, den Rahmen für die Verhandlungsführung seines Landes abzustecken und außerdem Geheimdienstinformationen darüber zu sammeln, was Amerika wirklich dachte, damit seine Vorgesetzten genau wußten, welche Startpositionen sie einnehmen mußten und wie weit sie gehen konnten. Nagumo war faktisch ein Geheimdienstler. In dieser Rolle nahm er ein persönliches und erstaunlich emotionales Interesse an dem Vorgang. Seiji sah sich als Verteidiger und Beschützer seines Landes und seines Volkes und zugleich als eine ehrliche Brücke zwischen seinem Land und Amerika. Er wünschte, daß die Amerikaner sein Volk und seine Kultur schätzten. Er wünschte, daß sie an seinen Produkten teilhatten. Er wünschte, daß Amerika Japan als ebenbürtig betrachtete, als einen guten und weisen Freund, von dem man etwas lernen konnte. Die Amerikaner waren ein leidenschaftliches Volk, das so oft seine wahren Bedürfnisse verkannte wie es vielen ergeht, die allzu stolz sind. Die Position, die Amerika derzeit in Handelsfragen vertrat, war, wie wenn man von seinem eigenen Kind geohrfeigt wird. Wußten sie nicht, daß sie Japan und seine Produkte brauchten? Hatte er nicht jahrelang amerikanische Handelsexperten persönlich ausgebildet?
Cook rutschte unbehaglich auf seinem Sessel herum. Auch er war ein erfahrener Mann des auswärtigen Dienstes, und er konnte so gut wie jeder andere in Gesichtern lesen. Sie waren schließlich Freunde, und darüber hinaus war Seiji sein persönlicher Paß zu einem einträglichen Leben nach dem Staatsdienst.
»Wenn es zu Ihrem Wohlbefinden beiträgt: Es ist der dreizehnte.« »Hm?« Nagumo blickte auf.
»Der Tag, an dem sie die letzten Raketen sprengen. Sie haben mich
danach gefragt, wissen Sie noch?«
Nagumo blickte verständnislos, weil er sich nicht an die Frage erinnern konnte. »Warum an dem Tag?«
»Der Präsident wird in Moskau weilen. Es ist nur noch eine Handvoll Raketen übrig. Wieviel es genau sind, weiß ich nicht, aber es sind weniger als zwanzig auf beiden Seiten. Die letzte sparen sie sich für nächsten Freitag auf. Schon ein merkwürdiger Zufall, aber so hat es sich aus dem Fahrplan ergeben. Die TV-Jungs sind eingeweiht, halten aber dicht. An beiden Orten werden Kameras sein, und sie werden die beiden letzten gleichzeitig zeigen ich meine, die Sprengung.« Cook hielt inne. »Die Feier, von der Sie sprachen, die für Ihren Großvater, das ist der Tag.«
»Danke, Chris.« Nagumo stand auf und ging zur Bar, um sich einen Drink einzuschenken. Er wußte nicht, wozu das Ministerium diese Information brauchte, aber er würde sie weitergeben. »Nun, mein Freund, was können wir in der Sache tun?«
»Nicht viel, Seiji, jedenfalls nicht im Augenblick. Ich habe ja mit Ihnen über diese verdammten Benzintanks gesprochen. Ich habe Ihnen gesagt, daß mit Trent nicht zu spaßen ist. Auf eine Gelegenheit wie diese hat er seit Jahren gewartet. Ich war heute nachmittag auf dem Kapitol und habe mit einigen Leuten geredet. Eine solche Flut von Briefen und Telegrammen haben Sie noch nicht gesehen. Und CNN läßt sich so eine Sache natürlich nicht entgehen.«
»Ich weiß.« Nagumo nickte. Es war wie in einem Horrorfilm. Der Aufmacher von heute war Jessica Denton. Das ganze Land und viele andere Länder - verfolgte ihre Genesung. Man hatte sie gerade von der Liste der »ernsten« Fälle gestrichen und bewertete ihren Zustand jetzt als »kritisch«. Die Fülle der Blumen vor ihrem Zimmer auf der Intensivstation ließ eher an einen Garten als an ein Krankenhaus denken. Die zweite Nachricht des Tages war die aus medizinischen und rechtlichen Gründen verzögerte Beerdigung ihrer Eltern und Geschwister. Hunderte hatten daran teilgenommen, darunter alle Kongreßabgeordneten aus Tennessee. Der Vorsitzende der Autofirma hatte ebenfalls kommen wollen, um seinen persönlichen Respekt zu bezeugen und sich in eigener Person bei der Familie zu entschuldigen, aber man hatte ihm aus Sicherheitsgründen davon abgeraten.
Statt dessen hatte er im Fernsehen im Namen seines
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