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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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ganzes Leben auf dieses Ziel hin geplant hatte, und nicht einmal der Tod seiner ersten Frau hatte ihn von diesem Ziel abbringen können. Durlings letztes Ziel war das Amt des Gouverneurs von Kalifornien gewesen, und als man ihm die Chance anbot, als Fowlers Kandidat fürs Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren, hatte er sie mehr aus Patriotismus als aus anderen Motiven ergriffen. Das würde er freilich selbst seinen engsten Beratern nicht anvertrauen, denn Patriotismus war in der Politik von heute passe, doch Roger Durling hatte gleichwohl so empfunden, hatte sich erinnert, daß der Durchschnittsbürger einen Namen und ein Gesicht hatte, hatte sich erinnert, daß einige von ihnen unter seinem Befehl in Vietnam gefallen waren, und in der Erinnerung an sie hatte er gedacht, daß es seine Pflicht sei, sein Bestes für sie zu geben.
    Aber was war das Beste? Erneut stellte er sich diese Frage, wie schon ungezählte Male zuvor. Das Oval Office war ein einsamer Ort. Oft drängten sich dort alle möglichen Besucher, vom Staatschef eines fremden Landes bis zum Schulkind, das in einem Aufsatzwettbewerb gewonnen hatte, aber irgendwann gingen sie alle, und der Präsident war wieder allein mit seinen Pflichten. Der Eid, den er abgelegt hatte, war so einfach, daß er nichts besagte. »... das Amt getreulich auszuüben nach besten Kräften - zu bewahren, zu beschützen und zu verteidigen ...« Schöne Worte, aber was bedeuteten sie? Madison und die anderen hatten sich vielleicht gedacht, daß er es schon wissen würde. 1789 hatte das vielleicht jeder gedacht - es verstand sich einfach von selbst -, aber das war über zweihundert Jahre her, und irgendwie hatten sie versäumt, es zur Anleitung künftiger Generationen aufzuschreiben.
    Es wurde auch nicht einfacher dadurch, daß es immer eine Menge Leute gab, die einem gern erklärten, was die Worte nach ihrer Meinung bedeuteten, und wenn man alle Ratschläge zusammennahm, dann kam sieben heraus, wenn man zwei plus zwei zusammenzählte. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Verbraucher und Hersteller, Steuerzahler und Empfänger von Transferleistungen. Sie alle hatten ihre Bedürfnisse. Sie alle hatten ihre Forderungen. Sie alle hatten Argumente und tüchtige Lobbyisten, die sie vortrugen, und das unheimliche war, daß jedes einzelne durchaus vernünftig klang, so daß viele glaubten, daß zwei plus zwei tatsächlich sieben sei. Das heißt, sie glaubten es, bis man die Summe bekanntgab, und dann sagte jeder, daß das Land sich die Sonderinteressen der anderen Gruppen nicht leisten könne.
    Hinzu kam, daß man, wenn man überhaupt etwas bewirken wollte, erst einmal in dieses Amt kommen und, nachdem man es erreicht hatte, darin halten mußte, und das hieß, Versprechungen zu machen, die man erfüllen mußte. Zumindest einige davon. Irgendwann verlor man dabei das Land und mit ihm die Verfassung aus den Augen, und am Ende des Tages fragte man sich, was man denn da bewahrte, schützte und verteidigte.
    Kein Wunder, daß ich diesen Posten im Grunde nicht gewollt habe, dachte Durling, während er, allein in seinem Amtszimmer, auf das soundsovielte Positionspapier niederblickte. Eigentlich war es bloß Zufall gewesen. Bob Fowler hatte die Stimmen von Kalifornien gebraucht, und Durling war für ihn der Schlüssel gewesen, ein junger, allgemein beliebter Gouverneur, der der richtigen Partei angehörte. Doch nun war er der Präsident der Vereinigten Staaten, und er fürchtete, diesem Amt einfach nicht gewachsen zu sein. Die traurige Wahrheit war, daß es über die geistigen Fähigkeiten eines einzelnen Menschen hinausging, all die Angelegenheiten auch nur zu verstehen, deren Regelung vom Präsidenten erwartet wurde. Wenn man zum Beispiel die Wirtschaft nahm, vielleicht sein wichtigstes Aufgabengebiet, nun, da die Sowjetunion untergegangen war: Selbst die zuständigen Fachleute konnten sich nicht auf ein paar Regeln einigen, die ein halbwegs intelligenter Mensch zu begreifen vermochte.
    Wenigstens von Arbeitsplätzen verstand er was. Für die Menschen war es besser, einen zu haben, als keinen zu haben. Es war, allgemein gesagt, besser für ein Land, wenn es die Güter, die es brauchte, zum größten Teil selbst herstellte, statt sein Geld ins Ausland zu schicken, um die Arbeiter eines anderen Landes dafür zu bezahlen, daß sie diese Güter herstellten. Das war ein Prinzip, das er verstehen konnte, mehr noch, ein Prinzip, das er anderen erklären konnte, und da die Leute, zu denen er sprach, gleichfalls

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