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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Amerikaner waren, würden sie ihm vermutlich zustimmen. Die Gewerkschaften würden zufrieden sein. Die Arbeitgeber würden ebenfalls zufrieden sein - und war eine Politik, mit der beide zufrieden waren, nicht notwendigerweise eine gute Politik? Es konnte nicht anders sein. Auch die Wirtschaftswissenschaftler mußten damit zufrieden sein. Im übrigen war er überzeugt, daß der amerikanische Arbeiter genauso gut war wie jeder andere in der Welt, mehr als bereit, mit jedem anderen in einen fairen Wettbewerb einzutreten, und im Grunde wollte er doch mit seiner Politik nichts anderes erreichen, nicht wahr?
    Durling drehte sich in seinem teuren Drehsessel um und schaute durch die dicken Fensterscheiben zum Washington-Denkmal hinüber. Für George mußte es sehr viel einfacher gewesen sein. Nun ja, gewiß, er war der erste, und er mußte mit der Whiskey-Rebellion fertig werden, die aber so schlimm auch nicht gewesen war, wenn man den Geschichtsbüchern glauben konnte, und er mußte das Vorbild für spätere Präsidenten abgeben. Die einzigen Steuern waren damals Zölle und Verbrauchssteuern gewesen, aus heutiger Sicht bedenklich regressiv, die aber nur darauf abzielten, das Einführen von Waren unattraktiv zu machen und Leute zu bestrafen, die zuviel tranken. Durling hatte wahrlich nicht vor, den Außenhandel zu unterbinden – er wollte nur einen fairen Handel. Bis hin zurück zu Nixon hatte die amerikanische Regierung diesen Kerlen immer wieder nachgegeben, zuerst weil sie ihre Stützpunkte benötigten (als ob Japan sich im anderen Falle mit seinen ehemaligen Feinden verbündet hätte!), und dann weil - ja, warum eigentlich? Weil es vorteilhaft geworden war? Wer konnte das wirklich sagen? Nun, das würde sich jetzt ändern, und jeder würde wissen, warum.
    Das heißt, korrigierte sich Durling, sie würden glauben, es zu wissen. Die Zynischeren würden vielleicht den wahren Grund erraten, und jeder würde teilweise recht haben.
    Das Amtszimmer des Ministerpräsidenten im japanischen Reichstagsgebäude - ein ausnehmend häßliches Gebilde in einer Stadt, die nicht für die Schönheit ihrer Architektur bekannt war - bot einen Ausblick auf eine Grünfläche, doch dem Amtsinhaber war im Moment nicht nach dieser Aussicht zumute. Nicht mehr lange, und er würde draußen sein.
    Dreißig Jahre, dachte er. Leicht hätte es auch ganz anders sein können. Man hatte ihm, als er Ende zwanzig war, mehr als einmal einen komfortablen Posten in der damals regierenden Liberaldemokratischen Partei angeboten, mit sicheren Aufstiegschancen, weil seine Intelligenz schon damals offenkundig gewesen war, besonders für seine politischen Feinde. Und so waren sie auf denkbar freundliche Weise an ihn herangetreten, hatten an seinen Patriotismus und an seine Vision von der Zukunft seines Landes appelliert, hatten ihm diese Vision vor seine jungen und idealistischen Augen gehalten. Es würde seine Zeit dauern, hatten sie ihm gesagt, aber irgendwann würde er seine Chance erhalten, genau diesen Sitz in genau diesem Raum einzunehmen. Garantiert. Er brauchte dafür nichts anderes zu tun als mitzuspielen, zu spuren, sich in das Team einzugliedern ...
    Er wußte noch, was er ihnen geantwortet hatte, jedesmal dasselbe, im gleichen Ton, mit denselben Worten, bis sie schließlich begriffen hatten, daß er nicht nach höheren Ehren strebte, und gegangen waren, zum letzten Mal, kopfschüttelnd und ratlos.
    Alles, was er wirklich für Japan gewollt hatte, war, daß es eine echte Demokratie im wahren Sinne des Wortes würde und nicht der Tummelplatz einer einzigen Partei, die ihrerseits von einer kleinen Zahl mächtiger Männer gesteuert wurde. Schon vor dreißig Jahren waren die Anzeichen der Korruption für jeden, der seine Augen aufmachte, deutlich erkennbar gewesen, doch die Wähler, das einfache Volk, durch zweitausend Jahre Gehorsam gefügig gemacht, hatten es hingenommen, weil die wahre Demokratie hier ebensowenig Wurzeln geschlagen hatte wie eine Reispflanze im nachgiebigen Schwemmsand eines Reisfeldes. Das war die grandioseste aller Lügen gewesen, so grandios, daß alle sie geglaubt hatten, hier im Lande wie anderswo. Die Kultur seines Landes hatte sich im Grunde nicht geändert. Gewiß, es gab kosmetische Veränderungen. Die Frauen durften jetzt wählen, doch wie Frauen in jedem anderen Land wählten sie ihr Portemonnaie genau wie ihre Männer, und sie waren, genau wie ihre Männer, Teil einer Kultur, die auf die eine oder andere Weise von jedem

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