08 - Ehrenschuld
Betrieb, wie er es noch nie erlebt hatte, nicht einmal in New York. Unbehagen bereitete ihm auch, daß er alle überragte. Es gibt für einen Geheimdienstler nichts Schlimmeres, als nicht in der Menge untertauchen zu können, aber mit seinen 1,86 war er schon von Ferne als einer erkennbar, der nicht hierhergehörte. Er zog so viele Blicke auf sich, stellte Clark fest. Was ihn noch mehr erstaunte: Man machte ihm Platz, speziell die Frauen, und Kinder schraken regelrecht vor ihm zurück, wie vor einem Monster. Es stimmte also. Er hatte es nie recht glauben wollen. Ein unsympathischer Barbar. So habe ich mich nie gesehen, dachte John, als er bei McDonald's eintrat. Es war voll zur Mittagszeit, und nachdem er sich umgesehen hatte, mußte er sich einen Stuhl mit einem anderen Mann teilen. Mary Pat hat recht, dachte er. Nomuri ist ziemlich gut.
»Na, was ist Sache?« fragte Clark in dem Getöse.
»Ich hab' sie identifiziert und weiß, wo sie wohnt.«
»Fixe Arbeit.«
»Nicht besonders schwer. Die Leibwache unseres Freundes hat von Spionageabwehr null Ahnung.«
Du wirkst übrigens wirklich wie einer, der hierhergehört, dachte Clark, einschließlich des abgehetzten und nervösen Eindrucks eines Angestellten, der sein Essen hinunterschlingt, um wieder an seinen Schreibtisch zu eilen. Na ja, das fiel einem Auslandsagenten nicht besonders schwer. Bei einem Auslandseinsatz nervös zu sein, war das leichteste. Entspannt zu wirken, das war das schwierige, und auf das legten sie auf der Farm Wert.
»Okay, dann brauche ich nur noch die Genehmigung, sie mitzunehmen.« Unter anderem. Von der Sache mit THISTLE durfte Nomuri nichts wissen. John fragte sich, ob sich das ändern würde.
»Sayonara.« Damit machte Nomuri seinen Abgang, während Clark seinen Reisball in Angriff nahm. Nicht übel Der Bursche ist wirklich 'n Profi, dachte er. Sein nächster Gedanke war: Reisball bei McDonald's?
Die Dokumente auf seinem Schreibtisch hatten nichts damit zu tun, daß er der Präsident war, aber sie hatten alles damit zu tun, daß er dieses Amt behielt, und deshalb lagen sie immer oben auf dem Stapel. Die wachsende Zustimmung, die jetzt in Umfragen deutlich wurde, war, nun, recht erbaulich, dachte Durling. Von denen, die wahrscheinlich zur Wahl gehen würden - und die allein zählten -, stimmten zehn Prozent mehr als in der Vorwoche seiner Politik zu, was sich sowohl auf seine Außen- wie auf seine Innenpolitik bezog. Er fühlte sich wie ein Viertkläßler, der zweifelnden Eltern ein besonders gutes Zeugnis nach Hause bringt. Dabei waren diese zehn Prozent nach Meinung seines demoskopischen Beraters erst der Anfang, weil die Leute mit einer gewissen Verzögerung auf die Folgen seines politischen Kurswechsels reagieren würden. Die drei großen Autokonzerne äußerten sich bereits öffentlich über die Möglichkeit, einen Teil der siebenhunderttausend Arbeiter, die sie in den letzten zehn Jahren entlassen hatten, wieder einzustellen. Das waren bloß die Arbeiter in der Endmontage. Hinzuzurechnen hatte man die Beschäftigten der selbständigen Zulieferer, der Reifenhersteller, der Glasfabriken, der Batteriehersteller und so weiter. Das konnte den Anstoß für einen erneuten Aufschwung des »Rust Belt« geben, jenes »Rostgürtels«, in dem die Hochburgen der Stahlindustrie lagen, und dort waren viele Wählerstimmen zu holen.
Jeder konnte sich ausrechnen, daß es bei der Autoindustrie nicht aufhören würde, nicht aufhören konnte. Die Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers erhoffte sich Tausende neuer zahlender Mitglieder. Die International Brotherhood of Electrical Workers (Fernseher, vielleicht auch Videorecorder?) konnte ihr nicht nachstehen, auch andere Gewerkschaften machten sich schon Gedanken darüber, wieviel vom Kuchen für sie abfallen könnte. Hinter dem einfachen Konzept des Trade Reform Act steckte, wie so oft hinter einfachen Konzepten, eine weitreichende Veränderung im Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten. Präsident Durling hatte geglaubt, er habe dieses Konzept verstanden, aber bald würde das Telefon auf seinem Schreibtisch klingeln. Beim Blick aufs Telefon wußte er schon im voraus, welche Stimmen er hören würde, und er brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was sie sagen, welche Argumente sie vorbringen und welche Versprechungen sie machen würden. Und er würde diese Versprechungen gern entgegennehmen.
Er hatte nie geplant, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, so wie Bob Fowler sein
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