08 - Ehrenschuld
poliertem Edelstahl, wodurch man die Struktur besser erkennen konnte. Mit dem alten grünen Anstrich der Russen hatte sie ungeschlacht gewirkt. Jetzt ähnelte sie mehr dem Raumfahrtgeschoß, das man in ihr vermutete, wirkte irgendwie eleganter, noch beeindruckender in ihrer zielbewußten Massigkeit.
»Die NASA sagte, sie hätten am Rumpf eine Menge Gewicht eingespart, bessere Materialien und so«, meinte Scott. »Das glaub' ich jetzt auch.«
»Wirklich schade, daß sie es bei ihren verdammten Benzintanks nicht geschafft haben«, sagte Mrs. Fleming. Scott pflichtete ihr bei. Er hatte einen Cresta, und seine Frau wollte nicht damit fahren, bevor nicht der Benzintank ausgetauscht war. Das würde ein paar Wochen dauern, hatte der Händler ihm gesagt. In ihrem vergeblichen Werben um die Gunst der Kundschaft hatte die Firma ihm tatsächlich einen Mietwagen zur Verfügung gestellt. Er hatte sich einen neuen Parkaufkleber besorgen müssen, den er vor der Rückgabe des Wagens würde abkratzen müssen.
»Weiß man, wer die Aufnahmen gemacht hat?« fragte Betsy.
»Einer von uns, soviel ich weiß.« Scott wechselte zu einem anderen Dia. »'ne Menge Veränderungen. Sie wirken fast wie kosmetische Verschönerungen«, bemerkte er.
»Wieviel Gewicht wollen sie eingespart haben?« Er hat recht, dachte Mrs. Fleming. Die Stahlhaut ließ die kreisförmigen Muster der Polierscheiben erkennen, es erinnerte fast an den Juwelen besatz eines Gewehrkolbens ...
»Der NASA zufolge sollen es über zwölfhundert Pfund am Raketenrumpf sein ...« Er klickte wieder auf die Fernbedienung.
»Hm, da aber nicht«, stellte Betsy fest.
»Komisch.«
Das Vorderende der Rakete war ursprünglich zur Aufnahme der Atomsprengköpfe bestimmt. Die SS-19 sollte mehrere befördern. Diese relativ kleinen und schweren Objekte waren sehr dicht, und das mußte im Aufbau der Rakete berücksichtigt werden. Eine Interkontinentalrakete erfuhr eine ständige Beschleunigung, vom Start bis zum Abschalten der Triebwerke, doch am größten war sie unmittelbar vor Brennschluß, wenn fast der gesamte Treibstoff verbrannt war. In diesem Fall betrug sie etwa 10 g. Gleichzeitig sank die Strukturfestigkeit, die dem Raketenrumpf durch die Menge des Treibstoffs in den Tanks verliehen worden war, auf ein Minimum. Die Struktur, an der die Sprengköpfe befestigt waren, mußte deshalb stabil und massiv sein, um das stark erhöhte Trägheitsgewicht der Nutzlasten gleichmäßig zu verteilen.
»Das haben sie aber wohl nicht geändert, oder?« Scott schaute zu seiner Kollegin hinüber.
»Ich frage mich, wieso nicht. Angeblich soll dieser Vogel jetzt Satelliten in die Umlaufbahn bringen ...«
»Schwere Satelliten, sagen sie, Fernmeldesatelliten ...«
»Schon, aber wenn ich mir das Teil da ansehe ...«
Der Sockel für den Bus der Sprengköpfe mußte über die ganze Fläche hin massiv sein. Der Sockel für einen Fernmeldesatelliten bestand praktisch aus einem dünnen Stahlring, einem flachen, stabilen Reifen, der unweigerlich den Eindruck entstehen ließ, er sei zu leicht für seine Last. Dieser Sockel hier ähnelte mehr einem ungewöhnlich schweren Waggonrad. Scott schloß einen Aktenschrank auf und holte ein aktuelles Foto einer SS-19 heraus, das ein amerikanischer Offizier als Angehöriger des Verifikationsteams in Rußland gemacht hatte. Er reichte es Mrs. Fleming kommentarlos.
»Schauen Sie, das ist die übliche Struktur, wie sie die Russen eingeplant hatten, vielleicht aus besserem Stahl und mit einer besseren Oberflächengüte. Sie haben sonst fast alles geändert, nicht wahr?« fragte Fleming. »Weshalb dies nicht?«
»Kam mir auch so vor. Daß sie das nicht geändert haben, muß sie hundert Pfund Gewicht gekostet haben, vielleicht auch mehr.«
»Das ergibt keinen Sinn, Chris. Wenn man Gewicht einsparen will, dann zuerst hier. Jedes hier eingesparte Kilo entspricht vier oder fünf bei der ersten Stufe.« Beide standen auf und traten an die Leinwand. »Moment ...«
»Genau, das nimmt den Bus auf. Das haben sie beibehalten. Kein Paßring für einen Satelliten. Sie haben es überhaupt nicht geändert.« Scott schüttelte den Kopf.
»Meinen Sie, die haben die Buskonstruktion einfach für ihre Transportstufe beibehalten?«
»Selbst wenn, dann ist doch trotzdem diese ganze Masse am Vorderende nicht nötig, oder?«
»Man könnte meinen, sie haben es absichtlich gelassen, wie es war.« »Genau. Ich frag' mich nur, warum.«
14 / Überlegungen
»Noch dreißig Sekunden«, sagte der Regieassistent,
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