08 - Ehrenschuld
sich gar nicht zeigen. Die Haut, die eigentlich hell war, war lediglich blaß und warf das Licht zurück wie Kreide, so körnig, daß selbst Make-up nicht viel daran geändert hätte. Nur ihre gewählte Ausdrucksweise ließ erkennen, was die Patientin einmal gewesen war, und ihre Stimme berichtete von den drei Jahre zurückliegenden Vorgängen, als ob sie innerlich gespalten sei, in ein Opfer und eine Beobachterin, die sich mit intellektueller Distanz fragte, ob sie überhaupt dabeigewesen war.
»Ich meine, er ist, wie er ist, und ich habe für ihn gearbeitet, und ich habe ihn gemocht ...« Wieder verstummte sie. Die Frau schluckte schwer und überlegte eine Weile, ehe sie fortfuhr. »Ich meine, ich bewundere ihn, alles, was er macht, all die Dinge, für die er eintritt.« Sie blickte auf, und es war merkwürdig, daß ihre Augen so trocken waren wie Cellophan und das Licht somit von einer flachen, tränenlosen Oberfläche reflektierten. »Er ist so reizend und fürsorglich und ...«
»Schon gut, Barbara.« Wie so oft mußte die Psychologin gegen das Verlangen ankämpfen, ihrer Patientin die Hand entgegenzustrecken, aber sie wußte, daß sie Abstand wahren mußte, daß sie ihren Zorn über das verbergen mußte, was dieser intelligenten und tüchtigen Frau angetan worden war. Angetan von einem Mann, der mit seinem Ansehen und seiner Macht Frauen angezogen hatte wie das Licht die Motten, ständig seinen Glanz umkreisend und sich immer weiter nähernd, bis sie von ihm zerstört wurden. Das Schema entsprach ganz dem Leben in dieser Stadt. Seitdem hatte Barbara sich von zwei Männern getrennt, die beide angenehme Partner hätten sein können für ein im Grunde angenehmes Leben. Sie war eine intelligente Frau, die die Universität von Pennsylvania mit einem Magister in Politikwissenschaft und einer Doktorarbeit über staatliche Verwaltung absolviert hatte. Sie war nicht der Typ der großäugigen Sekretärin oder der Halbjahresreferendarin, und vielleicht war sie gerade deshalb um so verletzlicher gewesen, imstande, Teil des Beraterteams zu werden, in dem Wissen, daß sie die Fähigkeiten dafür mitbrachte, sofern sie auch noch zu dem einen bereit war, was darüber hinausging, was sie die Grenze überschreiten ließ oder wie immer man es auf dem Kapitolshügel umschrieb. Allerdings konnte man diese Grenze nur in einer Richtung überschreiten, und es war nicht leicht zu erkennen, was einen auf der anderen Seite erwartete.
»Wissen Sie, ich hätte es auch so getan«, sagte Barbara in einer Anwandlung schonungsloser Ehrlichkeit. »Er brauchte gar nicht ...«
»Haben Sie deswegen Schuldgefühle?« fragte Dr. Clarke Golden. Barbara Linders nickte. Golden unterdrückte einen Seufzer und sagte mit sanfter Stimme: »Und gaben Sie ihm vielleicht ...«
»Signale.« Sie nickte. »So hat er sich geäußert: >Sie haben mir doch immer entsprechende Signale gegebene. Vielleicht habe ich es getan.<«
»Nein, das haben Sie nicht, Barbara. Jetzt fahren Sie bitte fort«, verlangte Clarke mit sanftem Nachdruck.
»Ich war einfach nicht in der Stimmung. Ich hätte es ja vielleicht getan, ein andermal, an einem anderen Tag, aber ich fühlte mich einfach nicht wohl. Als ich an dem Tag ins Büro kam, ging es mir noch gut, aber ich bekam Grippe oder so was, und nach dem Mittagessen war mir übel, und ich überlegte mir schon, früher nach Hause zu gehen, aber es war der Tag, an dem wir die von ihm betriebene Verfassungsänderung über die Bürgerrechtsgesetze machten, und so nahm ich gegen das Fieber ein paar Tylenol ein, und als es fast neun war, waren nur noch wir im Büro. Bürgerrechte waren mein Spezialgebiet«, setzte Linders erklärend hinzu. »Ich saß auf der Couch in seinem Büro, und er ging umher, wie er es immer tut, wenn er seine Ideen formuliert, und er stand hinter mir. Ich weiß noch, wie seine Stimme sanft und freundlich wurde, und er sagte wie aus heiterem Himmel: >Sie haben wunderschönes Haar, Barbara<, und ich sagte: >Danke.< Er erkundigte sich nach meinem Befinden, und ich sagte ihm, daß ich mich krank fühlte, und er sagte, er würde mir das geben, was er in diesem Fall benutzt - Brandy.« Sie sprach jetzt schneller, so als wolle sie diesen Teil so schnell wie möglich hinter sich bringen, wie jemand, der auf den Schnellvorlauf drückt, wenn in einer Videoaufnahme die Reklame kommt. »Ich habe nicht gesehen, daß er etwas hineingetan hat. In dem Sideboard hinter seinem Schreibtisch hatte er immer eine Flasche Remy und noch
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