08 - Ehrenschuld
Vergewaltigung war ein Verbrechen an der Seele, nicht am Körper, und so schrecklich die Dinge auch waren, die der Polizist sah, noch schlimmer waren die verborgenen Verletzungen, deren Heilung die Lebensaufgabe von Clarice Golden war. Sie war ein sanfter und fürsorglicher Mensch und hätte diese Untaten niemals physisch rächen können, aber diese Kreaturen haßte sie.
Hier lag jedoch ein besonderes Problem vor. Sie arbeitete normalerweise mit den Dezernaten für Sexualstraftaten aller Polizeistationen im Umkreis von fünfzig Meilen zusammen, aber dieses Verbrechen war auf Bundesgelände passiert, und sie mußte erst feststellen, wer zuständig war. Sie würde darüber mit ihrem Nachbarn sprechen, Dan Murray vom FBI. Dann gab es noch eine Komplikation. Der Täter war zur Tatzeit US-Senator gewesen, und er hatte sogar noch ein Büro im Kapitol. Inzwischen hatte er aber die Stellung gewechselt. Er war nicht mehr ein Senator aus Neuengland, sondern Vizepräsident der Vereinigten Staaten.
ComSubPac war einmal das hochgesteckte Ziel gewesen, von dem ein Mann nur träumen konnte, aber auch das gehörte inzwischen der Vergangenheit an. Der erste große Kommandeur war Vizeadmiral Charles Lockwood gewesen, und von all den Männern, die Japan besiegt hatten, waren nur Chester Nimitz und vielleicht noch Charles Layton bedeutender gewesen. Es war Lockwood, der genau in diesem Amtszimmer auf den Höhen über Pearl Harbor Mush Morton und Dick O'Kane und Gene Fluckey und all die anderen legendären Gestalten hinausgeschickt hatte, um in ihren schnellen Booten zu kämpfen. Dasselbe Amtszimmer, dieselbe Tür und sogar derselbe Titel an der Tür - Commander, Submarine Force, United States Pacific Fleet (Oberkommandierender der Unterseeboote in der USPazifikflotte) -, doch nun war der dazu erforderliche Rang niedriger. Konteradmiral Bart Mancuso, U.S. Navy, wußte, daß er es nur mit Glück soweit gebracht hatte. Das war die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht war, daß er praktisch der Konkursverwalter eines untergehenden Unternehmens war. Lockwood hatte noch eine richtige Flotte von Unterseebooten und Tendern befehligt. Austin Smith hatte später rund vierzig Boote im größten Ozean der Erde herumgeschickt, doch Mancuso war bei neunzehn taktischen und sechs strategischen Unterseebooten angekommen - und die letzteren lagen alle längsseits und warteten auf ihre Abwrackung in Bremerton. Keines würde erhalten bleiben, nicht einmal als Museumsstück einer verflossenen Epoche, was Mancuso eigentlich gar nicht soviel zu schaffen machte, wie man vielleicht erwartet hätte. Er hatte nie die Raketen- U-Boote gemocht, nie ihre häßliche Zweckbestimmung, ihre langweiligen Patrouillenfahrten und die Einstellung ihrer Kommandanten. Im taktischen Angriff ausgebildet, war Mancuso immer am liebsten dort gewesen, wo etwas los ist - etwas los war, korrigierte er sich.
War. Damit war es jetzt vorbei oder doch fast. Die Mission der atomgetriebenen Jagd-U-Boote hatte sich seit Lockwood geändert.
Hatten sie einst Überwasserschiffe gejagt, waren es Handels- oder Kriegsschiffe, so waren sie nun zu Spezialisten für die Ausschaltung feindlicher U-Boote geworden, wie Jagdflugzeuge, die darauf aus waren, ihre fremden Vettern abzuschießen. Mit dieser Spezialisierung hatte sich ihre Zweckbestimmung, ihre Ausrüstung und ihre Ausbildung so verengt, bis sie darin Weltklasse waren. Ein SSN auf der Jagd nach einem anderen war durch nichts zu übertreffen.
Womit niemand gerechnet hatte, war, daß die SSNs der anderen Seite verschwinden würden. Mancuso hatte sein ganzes Berufsleben damit zugebracht, für etwas zu üben, was, so hatte er gehofft, nie eintreten würde: sowjetische U-Boote, gleich, ob Raketen- oder Jagdboote, aufzuspüren, zu lokalisieren, sich an sie heranzuschleichen und sie zu versenken. Er hatte sogar etwas erreicht, was kein U-Boot-Skipper sich je hätte träumen lassen. Er hatte mitgeholfen, ein russisches U-Boot zu kapern, ein Meisterstück, das noch immer zu den geheimsten Erfolgen seines Landes zählte - und eine Kaperung war schließlich besser als eine Versenkung -, doch dann hatte sich die Welt verändert. Er hatte seinen Anteil daran gehabt und war stolz darauf. Die Sowjetunion gab es nicht mehr.
Leider - das war seine Ansicht - gab es auch die sowjetische Marine nicht mehr, und ohne feindliche Unterseeboote, die einem Sorgen machten, hatte sein Land, wie schon so oft in der Vergangenheit, seine Krieger damit belohnt, daß
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