08 - Ehrenschuld
aufs Lauschen verstanden.«
Murray war außer Haus gewesen, um mit dem stellvertretenden Leiter der Washingtoner Außenstelle über Etatfragen zu beraten, und so hatte ihn der Anruf nicht erreicht. Die Top-Secretmitteilung aus dem Weißen Haus wurde zu den Geheimakten geheftet, und dann mußte seine Sekretärin weg, um ihr krankes Kind von der Schule abzuholen. So bekam er die handschriftliche Mitteilung von Ryan mit unglaublicher Verspätung.
»Die kleine Norton«, sagte er sofort, als er ins Amtszimmer von
Direktor Shaw trat.
»Schlimm?«
»Tot«, sagte Murray und reichte ihm das Papier. Shaw überflog es rasch. »Scheiße«, flüsterte der FBI-Direktor. »Hatte sie eine Vorgeschichte als
Drogenkonsumentin?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Nachrichten aus Tokio?«
»Ich habe noch nicht mit dem juristischen Attache gesprochen. Es
kommt zeitlich sehr ungelegen, Bill.«
Shaw nickte, und es war ihm an der Stirn abzulesen, was er dachte. Man konnte einen beliebigen FBI-Beamten fragen, auf welchen Fall er besonders stolz sei, es war unfehlbar eine Entführung. Damit hatte sich das Bureau tatsächlich in den dreißiger Jahren seinen Ruf erworben. Das LindberghGesetz hatte das FBI ermächtigt, örtlichen Polizeibehörden Amtshilfe zu leisten, wenn nur der Verdacht existierte, daß das Opfer von einem Bundesstaat in den anderen verschleppt worden war. Es genügte der Verdacht - die Opfer wurden nur in seltenen Fällen so weit verbracht -, und Amerikas oberste Polizeibehörde stürzte sich mit ihrem ganzen Gewicht und ihrer ganzen Macht auf den Fall wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe. Die wesentliche Aufgabe war immer dieselbe: Das Opfer lebend zurückzubringen, und in dieser Beziehung waren die Ergebnisse exzellent. Das zweite Ziel war, die Tatverdächtigen zu fassen, zu überführen und vor Gericht zu bringen, und in dieser Hinsicht war das Ergebnis, statistisch gesehen, noch besser. Sie wußten noch nicht, ob Kimberly Norton Opfer einer Entführung gewesen war. Sie wußten nur, daß sie als Leiche heimkommen würde. Allein diese Tatsache bedeutete für einen FBIBeamten berufliches Versagen.
»Ihr Vater ist Polizist.«
»Ich weiß, Dan.«
»Ich möchte rüberfliegen und die Sache mit O'Keefe besprechen.«
Einerseits, weil Polizeihauptmann Norton verdiente, es von anderen Polizisten und nicht aus den Medien zu erfahren. Andererseits, weil die auf den Fall angesetzten Beamten es tun mußten, weil sie ihm ihr Versagen eingestehen mußten. Und schließlich auch, weil Murray sich die Ermittlungsakte selbst anschauen wollte, um sich zu überzeugen, daß man alles getan hatte, was möglich war.
»Ich denke, ich kann Sie für ein bis zwei Tage entbehren«, erwiderte Shaw. »Der Fall Linders muß ohnehin warten, bis der Präsident zurück ist. Also, fahren Sie.«
»Das ist besser als in der Concorde!« schwärmte Cathy gegenüber der AirForce-Unteroffizierin, die das Essen servierte. Ihr Mann mußte ein Lachen unterdrücken. Es kam nicht oft vor, daß Caroline Ryan so große Augen machte; er war schließlich seit langem an diese Art Bedienung gewöhnt, aber das Essen war sicherlich besser als das, was sie im Ärztespeisesaal der Hopkins-Universität im allgemeinen vorgesetzt bekam. Dort hatten die Teller auch keinen Goldrand, einer der Gründe, warum in der Air Force One soviel stibitzt wurde.
»Wein für Madame?« Ryan griff zu der Flasche mit kalifornischem
Chardonnay und schenkte ihr ein, wobei er seinen Teller herunterstieß. »Auf der Hühnerfarm trinken wir keinen Wein, müssen Sie wissen«,
erklärte sie leicht verlegen der Unteroffizierin.
»Für jeden ist es irgendwann das erste Mal, Dr. Ryan. Wenn Sie irgend
etwas brauchen, klingeln Sie bitte nach mir.« Sie eilte in die Kombüse
zurück.
»Siehst du, Cathy, ich habe dir doch gesagt, halte dich an mich.« »Ich frage mich, wie man sich ans Fliegen gewöhnen kann«, bemerkte
sie, während sie von dem Brokkoli kostete. »Frisch.«
»Auch die Crew ist ziemlich gut.« Er deutete auf die Weingläser. Nicht
die leiseste Erschütterung.
»Das Gehalt ist nicht besonders«, sagte Arnie van Damm von der
gegenüberliegenden Seite, »aber die Zusatzleistungen sind nicht so übel.« »Der vielgeschmähte Lachs ist gar nicht übel.« »Unser Küchenchef hat
das Rezept vom Jockey Club geklaut. Der beste Cajun-Lachs der ganzen
Stadt«, erklärte van Damm. »Dafür mußte er, glaube ich, das Rezept seiner
Kartoffelsuppe verraten. Ein angemessener Preis«, meinte Arnie.
»Die
Weitere Kostenlose Bücher