08 - Ehrenschuld
des jungen Mannes sah.
»Hallo, Betsy«, sagte Jack zu der Dame, die im Vorzimmer seines Büros wartete. »Sie sind früh auf. Und wer sind Sie?« »Chris Scott. Betsy und ich arbeiten zusammen.«
Jack winkte sie in sein Büro, wobei er zuerst an seinem Faxgerät überprüfte, ob Mary Pat die Informationen von Clark und Chavez geschickt hatte, und entschied, als er sie sah, daß sie warten können. Er kannte Betsy Fleming aus seiner Zeit bei der CIA als Expertin für strategische Waffen. Er nahm an, Chris Scott sei einer dieser Jungen von der Universität mit einem Abschluß in dem Fach, das Betsy sich mühsam selbst angeeignet hatte. Wenigstens war er so höflich gewesen zu sagen, daß er mit Betsy arbeitete. Das hatte Ryan vor Jahren auch einmal, als es um Rüstungskontrollverhandlungen ging. »Okay, was haben wir?«
»Hier ist das, was man den H-11 Space Booster nennt.« Scott öffnete seine Aktenmappe und zog ein paar Fotos hervor. Gute Aufnahmen, wie Ryan sofort sah, mit echtem Film auf kurze Entfernung, nicht die elektronische Sorte, die man durch ein Loch in der Tasche machte. Es war nicht schwer, den Unterschied festzustellen, und Ryan erkannte sofort einen alten Freund wieder, den er vor einer Woche noch für tot und begraben gehalten hatte.
»Kein Zweifel, die SS-19. So ist sie auch viel hübscher.« Ein anderes Foto zeigte mehrere der Raketen in einer Fabrikhalle. Jack zählte sie und verzog das Gesicht. »Was muß ich sonst noch wissen?«
»Hier«, sagte Betsy. »Sehen Sie sich mal die Spitze an.«
»Sieht normal aus«, bemerkte Ryan.
»Das ist der Punkt. Die Nase ist normal«, sagte Scott. »Normal für einen
Gefechtskopf, nicht für den Transport von Fernsehsatelliten. Wir haben das schon vor einer Weile festgestellt, aber niemand hat sich drum gekümmert«, fügte der technische Analytiker hinzu. »Der Rest des Vogels ist völlig überarbeitet. Wir haben Schätzungen über seine Leistungssteigerung.«
»Kurze Version?«
»Jeweils sechs bis sieben Sprengköpfe und eine Reichweite von gut zehntausend Kilometern«, antwortete Mrs. Fleming. »Das ist der schlimmste Fall, aber realistisch.«
»Das ist eine Menge. Ist die Rakete getestet worden? Wissen wir, ob sie ihr Lenksystem getestet haben?« fragte der Nationale Sicherheitsberater.
»Keine Daten. Wir haben ein bißchen was über die Flugtests der Satellitenträgerrakete über dem Pazifik«, sagte Scott, »Sachen, die von Amber Ball aufgefangen wurden, aber es ist in verschiedener Hinsicht mehrdeutig.«
»Gesamtzahl der produzierten Vögel?«
»Soweit wir wissen, fünfundzwanzig. Davon sind drei für Flugtests draufgegangen, und zwei stehen mit kommerzieller Nutzlast an der Rampe. Bleiben noch zwanzig.«
»Was für eine Nutzlast?« fragte Ryan fast aus einer Laune heraus.
»Die Jungs von der NASA meinen, es sind Überwachungssatelliten. Für Echtzeit ausgerüstete Fotosatelliten. Vielleicht stimmt es ja«, sagte Betsy düster.
»Also haben sie wahrscheinlich beschlossen, ins Spionagesatellitengeschäft einzusteigen. Wäre nicht unlogisch, oder?« Ryan machte sich ein paar Notizen. »Okay, die Bedrohung liegt im schlimmsten Fall also mindestens bei zwanzig Raketen, jede mit sieben Sprengköpfen, insgesamt hundertvierzig?«
»Stimmt, Dr. Ryan.« Beide waren so professionell, daß sie nicht lange darüber zu reden brauchten, eine wie große Bedrohung das war. Japan hatte theoretisch die Möglichkeit, das Herz von hundertvierzig amerikanischen Städten auszubrennen. Amerika konnte schnell die Fähigkeit zurückgewinnen, auch ihre Heimatinseln in Feuer und Rauch aufgehen zu lassen, aber das war kein besonderer Trost, oder? Vor kaum sieben Tagen hatte man noch geglaubt, die über vierzig Jahre der Abschreckung mit gegenseitiger atomarer Vernichtung seien zu Ende, und jetzt war sie wieder da, dachte Ryan. War das nicht toll?
»Wissen Sie etwas über die Quelle, aus der diese Fotos stammen?«
»Jack«, sagte Betsy, »Sie wissen, daß ich nie frage. Aber wer immer es war, hat es ganz offen gemacht. Das sieht man an den Bildern. Die sind nicht mit einer Minox gemacht. Ich wette, jemand hat sich als Reporter getarnt. Keine Sorge. Ich verrate nichts.« Ihr übliches verschmitztes Lächeln. Sie war schon so lange dabei, daß sie alle Tricks kannte.
»Es sind offensichtlich Spitzenfotos«, fuhr Chris Scott fort, der sich fragte, wie zum Teufel Betsy den Nerv hatte, diesen Mann beim Vornamen zu nennen. »Lange Brennweite, hochempfindlicher Film, wie bei einem
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