08 - Ehrenschuld
Hause fühlten. Die Gebäude waren so hoch, daß sie einem den Anblick des Himmels verstellten, die Straßen dermaßen verstopft, daß Besucher von einem anderen Planeten denken konnten, gelbe Taxis und schwarze Limousinen seien hier die vorherrschenden Lebewesen. Auf den übervölkerten, schmutzigen Bürgersteigen hasteten die Menschen in geschäftiger Anonymität aneinander vorbei, den Blick starr geradeaus gerichtet, um zum einen Zielstrebigkeit zu demonstrieren und zugleich den Blickkontakt mit anderen zu vermeiden, die unter Umständen Konkurrenten oder, was wahrscheinlicher war, einfach im Wege waren. Ganz New York hatte sein Verhalten von diesem Ort übernommen, brüsk, schnell, unpersönlich, hart in der Form, aber nicht in der Substanz. Die Wall-Street-Bewohner glaubten, bei ihnen spiele sich alles ab, und waren so fixiert auf ihre individuellen und kollektiven Ziele, daß sie sich über alle empörten, die genauso empfanden. In diesem Sinne war es eine vollkommene Welt. Alle empfanden genau dasselbe. Niemand interessierte sich die Bohne für andere Menschen. So schien es jedenfalls. In Wahrheit hatten die Leute, die hier arbeiteten, Ehegatten und Kinder, Interessen und Hobbys, Wünsche und Träume genau wie alle anderen, aber zwischen acht Uhr morgens und sechs Uhr abends war das alles ihren Geschäften untergeordnet. Gegenstand ihres Geschäfts war natürlich das Geld, ein Produkt, das nirgendwo zu Hause war und keine Treue kannte. Und so kam es, daß im vierundachtzigsten Stock von Six Columbus Lane, dem neuen Verwaltungsgebäude der Columbus Group, eine Übernahme stattfand.
Der Raum war in jeder Hinsicht atemberaubend. Die Wandtäfelung war aus massivem Walnußholz, kein Furnier, und wurde von einem gutbezahlten Team von Handwerkern liebevoll gepflegt. Zwei Wände waren aus poliertem Glas, das sich vom Teppichboden bis zu den CelotexDeckenbespannungen erstreckte, und boten einen Blick auf den Hafen von New York und bis zum Horizont. Der Teppichboden war so dick, daß Schuhe darin versanken - und daß man eine unangenehme elektrostatische Aufladung bekam, mit der die Menschen hier zu leben gelernt hatten. Der Konferenztisch war aus rotem Granit, zwölf Meter lang, und die Sessel um ihn hatten annähernd zweitausend Dollar das Stück gekostet.
Die Columbus Group, erst vor elf Jahren gegründet, hatte einen steilen Aufstieg hinter sich: Zuerst nur ein weiterer Emporkömmling, dann Enfant terrible, dann strahlendes aufsteigendes Licht, dann ernsthafter Mitspieler, schließlich unter den Besten auf ihrem Gebiet, war sie gegenwärtig ein Eckstein der Gemeinschaft der Investmentfonds. Gegründet von George Winston, verfügte die Gesellschaft inzwischen über eine ganze Armada von Fondsverwaltungsteams. Die drei führenden Teams hießen passenderweise Nina, Pinta und Santa Maria, weil Winston, als er mit neunundzwanzig die Firma gegründet hatte, von der Lektüre von Samuel Eliot Morisons The European Discovery of the New World fasziniert gewesen war, und aus Bewunderung für den Mut, die Vision und die schlichte Chuzpe der rastlosen Seefahrer aus der Schule des Prinzen Heinrich hatte er beschlossen, nach ihrem Vorbild seinen eigenen Kurs zu bestimmen. Jetzt, da er vierzig und ungeheuer reich war, war es an der Zeit zu gehen, sich am Duft der Rosen zu erfreuen und mit seiner dreißig Meter langen Segelyacht auf ausgedehnte Kreuzfahrten zu gehen. Er hatte sogar schon genaue Pläne: In den nächsten Monaten wollte er lernen, die Cristobal genauso fachkundig zu segeln, wie er alle anderen Dinge im Leben anpackte, dann dem Kurs der Entdeckungsreisen folgen, jeden Sommer einer, bis ihm die Vorbilder ausgehen würden, und dann vielleicht selbst ein Buch darüber schreiben.
Er war von mittlerem Wuchs, wirkte aber größer aufgrund seiner Persönlichkeit. Ein Fitneßfanatiker - Streß war die Haupttodesursache an der Street -, strahlte Winston förmlich das Selbstvertrauen aus, das seine vorzügliche Kondition ihm verlieh. Er betrat den Konferenzraum, in dem sich die übrigen Teilnehmer bereits versammelt hatten, mit dem Gebaren eines gewählten Präsidenten, der nach dem Abschluß einer erfolgreichen Wahlkampagne in sein Hauptquartier einzieht, der Schritt rasch und sicher, das Lächeln höflich und arglos. Zufrieden mit der heutigen Krönung seines Berufslebens, gewährte er seinem wichtigsten Gast ein Nicken.
»Yamata-san, wie schön, Sie wiederzusehen«, sagte George Winston mit ausgestreckter Hand. »Sie haben
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