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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Anleger weniger interessant machen, weil der staatlich garantierte Ertrag »sicherer« war als der eher spekulative Gewinn, den eine Firma erwartete, deren Produkte und/oder Dienstleistungen auf dem Markt konkurrieren mußten.
    An der Wall Street nahmen einzelne Investoren und professionelle Anlageverwalter, die die ökonomischen Indikatoren verfolgten, die Abendnachrichten (Mitteilungen über Diskontsatzerhöhungen wurden gewöhnlich in die Zeit nach der Schließung der Märkte verlegt) ungerührt zur Kenntnis und schrieben entsprechende Aufträge, um einige der von ihnen gehaltenen Wertpapiere abzustoßen. Dadurch würde der notierte Wert zahlreicher Aktien sinken, und der Dow Jones Industrial Average würde nachgeben. Dieser Index war in Wirklichkeit gar kein Durchschnitt, sondern die Summe des aktuellen Marktwerts von dreißig erstklassigen Wertpapieren, angefangen mit Allied Signal am einen Ende des Alphabets bis Woolworth's am anderen, mit Merck mitten drin. Der Nutzen dieses Indikators bestand heute hauptsächlich darin, daß die Medien etwas zu melden hatten, auch wenn das Publikum damit kaum etwas anfangen konnte. Das Nachgeben des Dow würde einige Leute nervös machen, sie zu weiteren Verkäufen veranlassen und ein weiteres Nachgeben des Marktes bewirken, bis andere in Aktien, die stärker gesunken waren, als sie es eigentlich verdienten, eine Chance sehen würden. Mit dem Gefühl, daß diese Papiere in Wirklichkeit mehr wert waren, als der Marktpreis zu erkennen gab, würden sie vorsichtig kaufen, woraufhin der Dow (und andere Marktindikatoren) wieder steigen würde, bis ein Gleichgewicht erreicht und das Vertrauen wiederhergestellt sein würde. Und all diese vielfältigen Veränderungen, die sich bei jedem einzelnen bemerkbar machten, wurden in einem reichgeschmückten Sitzungszimmer in Washington, D.C., von einer Handvoll Leute festgelegt, deren Namen selbst Investmentprofis kaum bekannt waren, geschweige denn dem allgemeinen Publikum.
    Bemerkenswert daran war, daß jedermann diesen ganzen Vorgang akzeptierte, als wäre er so selbstverständlich wie die Naturgesetze, obwohl er in Wirklichkeit so ätherisch war wie ein Regenbogen. Physisch existierte das Geld überhaupt nicht. Selbst das »echte« Geld war nichts anderes als spezielles Papier, das im Fall des Dollars auf der Vorderseite mit schwarzer und auf der Rückseite mit grüner Farbe bedruckt war Gedeckt wurde das Geld nicht von Gold oder irgendeinem Wert an sich, sondern von der kollektiven Überzeugung, daß Geld Wert besaß, weil es Wert besitzen mußte. Infolgedessen war das Währungssystem der Vereinigten Staaten und aller anderen Länder der Welt durch und durch eine Übung in Psychologie, eine geistige Angelegenheit, und das war damit auch jeder andere Aspekt der amerikanischen Wirtschaft. Wenn Geld bloß eine Frage des gemeinsamen Glaubens war, dann galt dies auch für alles übrige.
    Was die Bundesbank an diesem Nachmittag getan hatte, war eine behutsame Übung in der Erschütterung dieses Glaubens, der sich dann in den Köpfen derer, die ihm anhingen, von selbst wiederaufrichten durfte. Zu diesen gehörten auch die Gouverneure der Fed, weil sie das Ganze wirklich durchschauten oder jedenfalls zu durchschauen glaubten. Privat mochten sie scherzen, daß keiner wirklich kapierte, wie es funktionierte, genausowenig wie einer von ihnen das Wesen Gottes erklären konnte, aber wie bei den Theologen, die ständig bemüht waren, das Wesen einer Gottheit zu erfassen und anderen zu vermitteln, war es ihre Aufgabe, den Laden in Schwung zu halten, dafür zu sorgen, daß das Glaubensgebilde real und greifbar blieb, ohne je zuzugeben, daß das Ganze auf nichts beruhte, was auch nur die Realität jenes Papiergeldes gehabt hätte, das sie für die Fälle mit sich führten, in denen die Benutzung einer Kreditkarte aus Plastik sie in Verlegenheit bringen konnte.
    Man vertraute ihnen in der zurückhaltenden Art, in der die Leute ihren Geistlichen vertrauten, und ließ sie jene Struktur aufrechterhalten, auf der der weltliche Glaube stets beruhte, ließ sie die Realität von etwas verkünden, was unsichtbar war, dessen physische Manifestationen einzig in Gebäuden aus Stein und in dem soliden Erscheinungsbild derer zu finden waren, die dort arbeiteten. Schließlich, so sagten sie sich, funktionierte es doch auch. Oder etwa nicht?
    In mancher Hinsicht war die Wall Street jener Teil von Amerika, in dem sich Japaner, besonders solche aus Tokio, fast wie zu

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