08 - Ehrenschuld
Handlungsweise gewiß für jeden war, der eine Ahnung von dem Geschäft hatte, würde es doch Anlaß zu Kommentaren geben. Deshalb war es notwendig, daß der Mann, der an seine Stelle trat, bereit war, wieder sein eigenes Geld einzusetzen. Durch diesen Schachzug würde ein eventuell schwankendes Vertrauen wieder gefestigt werden. Außerdem würde er die Ehe zwischen dem japanischen und dem amerikanischen Finanzsystem festigen. Unter Winstons Augen wurden Dokumente unterzeichnet, die den Mitteltransfer ermöglichten, für den die führenden Männer internationaler Banken in sechs Ländern länger in ihren Büros geblieben waren. Ein Mann von großer persönlicher Substanz, Raizo Yamata.
Eher von großer persönlicher Liquidität, korrigierte sich Winston. Seit er die Wharton School verlassen hatte, hatte er eine Menge von gescheiten, scharfsinnigen Spekulanten kennengelernt, allesamt gerissene, intelligente Leute, die ihr räuberisches Wesen hinter einer Maske von Humor und Jovialität zu verbergen suchten. Dafür entwickelte man schnell einen Instinkt. Es war so einfach. Yamata glaubte vielleicht, aufgrund seiner Herkunft undurchschaubarer zu sein, so wie er sich zweifellos für schlauer hielt als der durchschnittliche Baissier beziehungsweise Haussier, dachte Winston schmunzelnd. Vielleicht, vielleicht auch nicht, dachte er und blickte den zwölf Meter langen Tisch hinunter. Warum zeigte der Mann keinerlei Regung? Die Japaner hatten doch auch Gefühle. Die, mit denen er geschäftlich zu tun gehabt hatte, waren recht umgänglich gewesen und hatten sich wie jeder andere Mensch gefreut, wenn ihnen ein Glückstreffer an der Wall Street gelungen war. Wenn sie ein bißchen getrunken hatten, waren sie im Grunde nicht anders als Amerikaner. Oh, ein bißchen zurückhaltender, ein bißchen schüchtern vielleicht, aber stets höflich, das war es, was ihm an ihnen am meisten gefiel, ihre guten Manieren, das hätte er gern auch bei den New Yorkern gesehen. Das war es, dachte Winston: Yamata war zwar höflich, aber es war nicht echt. Es wirkte förmlich, und mit Schüchternheit hatte es nichts zu tun. Wie ein kleiner Roboter ... Nein, so war es auch wieder nicht, dachte Winston, während die Dokumente auf dem Tisch auf ihn zu wanderten. Yamatas Mauer war bloß dicker als gewöhnlich, so daß er seine Gefühle besser verbergen konnte. Warum hatte er eine solche Mauer aufgebaut? Hier war sie doch nicht nötig, oder? In diesem Raum war er unter Gleichen, mehr noch, jetzt war er unter Partnern. Gerade hatte er mit seiner Unterschrift sein Geld übertragen, hatte er sein persönliches Wohlergehen mit dem so vieler anderer verknüpft. Mit dem Transfer von fast zweihundert Millionen Dollar gehörte ihm jetzt mehr als ein Prozent der von Columbus verwalteten Gelder, wodurch er zum größten Anleger des Instituts wurde. Mit dieser Stellung erlangte er die Kontrolle über jeden Dollar, jede Aktie, jede Option, die der Fonds besaß. Die Columbus Group war durchaus nicht die größte Firma an der Wall Street, aber sie gehörte zu den führenden. Von Columbus erwartete man Ideen und Trends. Yamata hatte mehr als nur eine Maklerfirma gekauft. Er besaß jetzt eine echte Position innerhalb der Hierarchie von Amerikas Geldmanagern. Seinen Namen, den man in Amerika bis vor kurzem kaum kannte, würde man von nun an mit Respekt aussprechen, und das hätte ihm eigentlich ein Lächeln aufs Gesicht zaubern müssen, dachte Winston. Aber er lächelte nicht.
Das letzte Dokument erreichte ihn, wurde ihm von einem seiner leitenden Angestellten zugeschoben, der durch seine Unterschrift gleich Yamatas Angestellter sein würde. Es war wirklich so einfach. Eine einzige Unterschrift, eine winzige Menge blauer Tinte, auf eine bestimmte Weise arrangiert, und elf Jahre seines Lebens gingen mit ihr dahin. Eine einzige Unterschrift übereignete sein Unternehmen einem Mann, den er nicht verstand.
Aber muß ich ihn denn verstehen? Es wird sein Ziel sein, Geld für sich und für andere zu machen, genau wie ich es getan habe. Winston holte seinen Füllfederhalter heraus und unterschrieb, ohne aufzublicken. Warum hast du nicht vorher geguckt?
Er hörte den Korken einer Champagnerflasche aufspringen, und als er aufsah, blickte er in die lächelnden Gesichter seiner ehemaligen Angestellten. Mit dem Abschluß des Deals war er für sie zu einem Symbol geworden. Vierzig Jahre alt, reich, erfolgreich, aus dem Geschäftsleben ausgeschieden, brauchte er sich jetzt nicht mehr
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