08 - Ehrenschuld
Rebecca Upton in ihrer NTSB-Windjacke und die beiden zerstörten Crestas, die gerade auf die Ladeflächen von Abschleppwagen gehievt wurden.
»Scheiße«, meinte Trents leitender Mitarbeiter.
»Die Benzintanks, was?« fragte Trent in den Hörer und hörte dann rund eine Minute lang zu. »Diese Arschlöcher«, knurrte der Kongreßabgeordnete. »Vielen Dank für den Hinweis, George. Ich nehme mich der Sache an.« Er legte den Hörer auf und straffte sich. Mit der Rechten deutete er auf seinen leitenden Mitarbeiter.
»Sie setzen sich mit der NTSB-Stallwache in Washington in Verbindung. Ich möchte umgehend mit dem Mädchen sprechen. Name, Telefon, wo sie ist, besorgen Sie mir das auf der Stelle! Dann holen Sie mir den Verkehrsminister an die Strippe.« Er wandte sich wieder seinen Arbeitsunterlagen zu, derweil die Mitarbeiter sich an die Te lefone hängten. Trent ließ, wie fast alle Kongreßabgeordneten, sein Gehirn im Time-sharing arbeiten, und längst hatte er gelernt, seine Zeit und sein Engagement in getrennte Sektoren aufzugliedern. Knurrend saß er über einem Zusatzantrag zur Mittelgewährung des Innenministeriums für die Nationale Forstverwaltung und machte mit einem Grünstift einige Randbemerkungen. Das war bei ihm der zweithöchste Grad der Mißbilligung; allerdings lag neben einem Stoß Papier im Kanzleiformat schon ein Rotstift bereit, und das bedeutete, daß Trent wirklich von irgend etwas beunruhigt war. 1
Rebecca Upton saß in ihrem Nissan und folgte den Abschleppwagen nach Nashville. Dort würde sie zunächst die Deponierung der ausgebrannten Crestas überwachen, um sich anschließend mit dem Leiter der örtlichen Dienststelle über die Schritte zur Eröffnung einer förmlichen Untersuchung zu unterhalten. Das bedeutete eine Menge Schreibarbeit, und sie fand es sonderbar, daß es ihr gar nichts ausmachte, daß ihr Wochenende damit versaut war. Dienstlich verfügte sie über ein Handy, das sie geflissentlich nur für dienstliche Belange und nur für absolut unumgängliche Gespräche benutzte - sie war erst seit zehn Monaten im Staatsdienst -, und das bedeutete in ihrem Fall, daß sie noch nicht einmal die Basisgebühr verbrauchte, die der Staat an die Telefongesellschaft zahlte. Noch nie hatte das Mobiltelefon in ihrem Wagen geläutet, und sie war verblüfft, als es neben ihr zu trällern begann.
»Hallo?« meldete sie sich und dachte, jemand müsse sich verwählt haben.
»Rebecca Upton?«
»Jawohl. Wer dort?«
»Ich stelle Sie durch zum Kongreßabgeordneten Trent«, sagte eine Männerstimme.
»Wer bitte?«
»Hallo?« sagte eine andere Stimme.
»Wer ist dort?«
»Sind Sie Rebecca Upton?«
»Ja, und wer sind Sie?«
»Ich bin Alan Trent, Kongreßabgeordneter aus dem Commonwealth von Massachusetts.« Massachusetts war nicht bloß ein »Staat«, und das gaben die gewählten Vertreter dieses Staates bei jeder Gelegenheit zu verstehen. »Ich habe Ihre Nummer von der NTSB-Stallwache. Ihr Vorgesetzter ist Michael Zimmer, und seine Nummer in Nashville ist ...«
»Schon gut, ich glaube Ihnen, Sir. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie untersuchen einen Unfall auf der I-40, stimmt's?«
»Jawohl, Sir.«
»Informieren Sie mich bitte über Ihre Erkenntnisse.«
»Sir«, sagte Upton und verlangsamte die Fahrt, um nachdenken zu können, »eigentlich haben wir noch gar nicht angefangen, und ich bin wirklich nicht in der Lage ...«
»Junge Frau, ich frage nicht nach Ihrem Ergebnis, sondern bloß nach dem Grund, warum Sie eine Untersuchung einleiten. Ich könnte Ihnen behilflich sein. Wenn Sie kooperativ sind, verspreche ich Ihnen, daß die Verkehrsministerin erfahren wird, was für eine tüchtige junge Ingenieurin Sie sind. Ich bin mit ihr befreundet, müssen Sie wissen. Wir haben zehn oder zwölf Jahre im Kongreß zusammengearbeitet.«
Oh, dachte Rebecca Upton. Es gehörte sich nicht, war unethisch und verstieß wahrscheinlich gegen die Vorschriften, wenn sie über eine laufende NTSB-Unfallermittlung Auskunft gab. Doch die Untersuchung hatte ja noch gar nicht begonnnen. Und Upton hatte den verständlichen Wunsch, höheren Orts bemerkt und befördert zu werden. Es war ihr nicht klar, daß ihr kurzes Schweigen dem Mann am anderen Ende verriet, was sie dachte, und das Lächeln in dem Hotelzimmer von Hartford konnte sie ohnehin nicht sehen.
»Sir, nach meinem Eindruck, und das ist auch die Meinung des Polizeibeamten an der Unfallstelle, hatten die Benzintanks an beiden Wagen Konstruktionsmängel, und dadurch kam es zu dem
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