08 - Im Angesicht des Feindes
an ihn oder an einen Fremden, der vielleicht nicht Simons ethische Grundsätze hat. Du kannst natürlich auch zur Polizei gehen. Aber wohin das führen wird, weißt du ja.«
Während Dennis Luxford über die Möglichkeiten nachdachte, brachte Cotter den Kaffee und den Schokoladenkuchen herein. Er stellte das Tablett auf den Couchtisch vor Helen und sah zur Tür, wo ein kleiner Langhaardackel sein Tun hoffnungsvoll beobachtete. »Hör mal, Peach«, sagte Cotter. »Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst in der Küche bleiben?« Der Hund bellte schwanzwedelnd. »Er hat eine Vorliebe für Schokolade«, erklärte Cotter.
»Er hat eine Vorliebe für alles«, korrigierte Deborah. Sie stand auf, um Helen, die den Kaffee einschenkte, die Tassen abzunehmen. Cotter hob den Hund hoch und begab sich in den rückwärtigen Teil des Hauses. Gleich darauf hörten sie ihn die Treppe hinaufgehen.
»Milch und Zucker, Mr. Luxford?« fragte Deborah so liebenswürdig, als hätte Luxford nicht vor einem Augenblick noch ihre Integrität in Frage gestellt. »Möchten Sie ein Stück Kuchen? Mein Vater hat ihn gebacken. Er bäckt vorzüglich.«
Luxford sah aus, als wüßte er genau, daß er mit dem Entschluß, das Brot mit ihnen zu brechen - oder in diesem Fall den Kuchen -, eine Linie überschreiten würde, die er lieber nicht überschritten hätte. Dennoch nahm er an. Er ging zum Sofa, setzte sich ganz vorn auf die Kante und blieb einen Moment in Nachdenken versunken, während Deborah und Helen Kaffee und Kuchen herumreichten. Dann sagte er schließlich: »Also gut, mir ist klar, daß ich kaum eine Wahl habe.« Er griff in die Innentasche seines Blazers - wobei er die seidenen Hosenträger enthüllte, die Cotter so beeindruckt hatten - und zog einen Brief heraus, den er mit der Bemerkung an Simon weitergab, er habe ihn am Nachmittag mit der Post erhalten.
Simon betrachtete das Kuvert, ehe er das Schreiben selbst herauszog. Er las den kurzen Text und ging sofort zu seinem Schreibtisch, wo er einen Moment in einer Seitenschublade kramte, bis er einen Plastikumschlag gefunden hatte, in den er das Blatt Papier hineinsteckte. »Hat sonst noch jemand dieses Schreiben in der Hand gehabt?« fragte er.
»Nein. Nur Sie und ich.«
»Gut.« Simon reichte die Plastikhülle an Helen weiter, dann sagte er zu Luxford: »Wer ist Charlotte? Und wer ist Ihr erstgeborenes Kind?«
»Charlotte. Sie ist mein erstgeborenes Kind. Sie ist entführt worden.«
»Sie haben die Polizei nicht informiert?«
»Wir können die Polizei nicht hinzuziehen. Wir können es nicht riskieren, daß das publik wird.«
»Es wird nicht publik werden«, entgegnete Simon. »Bei Entführungen ist absolute Geheimhaltung Vorschrift. Das wissen Sie doch genau. Ich würde annehmen, ein Journalist -«
»Ich weiß genau, daß die Polizei die Presse täglich auf dem laufenden hält, wenn sie mit einer Entführung zu tun hat«, fiel Luxford ihm scharf ins Wort. »Unter der Bedingung, daß nichts davon gedruckt wird, bevor das Opfer zu seiner Familie zurückgekehrt ist.«
»Wo liegt dann das Problem, Mr. Luxford?«
»In der Person des Opfers.«
»Wieso? Sie ist Ihre Tochter.«
»Ja. Und die Tochter Eve Bowens.«
Helen sah Simon in die Augen, als sie ihm das Schreiben des Kidnappers zurückreichte. Sie zog die Brauen hoch.
Deborah sagte: »Eve Bowen? Ich verstehe nicht - Simon, weißt du ...«
Eve Bowen, erklärte ihr David, sei die Staatssekretärin im Innenministerium und bekleide damit einen der exponiertesten Posten der konservativen Regierung. Sie habe den Aufstieg in dieses Amt mit beeindruckender Geschwindigkeit geschafft und schicke sich an, die nächste Margaret Thatcher zu werden. Ihr Wahlkreis sei Marylebone, und eben aus Marylebone sei ihre Tochter offenbar entführt worden.
»Als ich diesen Brief bekam«, warf Luxford ein, »habe ich sofort mit Eve telefoniert. Ich glaubte, ehrlich gesagt, es handele sich um einen Bluff. Ich dachte, irgend jemand hätte irgendwie unsere Namen in Verbindung gebracht und wollte mich jetzt zu einer Reaktion herausfordern, die verraten würde, daß früher eine Beziehung zwischen uns bestanden hat. Ich dachte, da sei jemand auf einen Beweis dafür aus, daß durch Charlotte eine Verbindung zwischen Eve und mir besteht, und die Behauptung, Charlotte sei entführt worden - und meine Reaktion darauf -, würde ihm diesen Beweis liefern.«
»Weshalb sollte jemand ein Interesse daran haben, Ihre Beziehung zu Eve Bowen aufzudecken?« fragte
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