08 - Im Angesicht des Feindes
Luxford, genau das wollte Rodney Aronson. Er hatte Luxford seit dessen Ankunft bei der Source auf Schritt und Tritt mit Argusaugen beobachtet und wartete nur auf den einen Fehler, den er dem Aufsichtsratsvorsitzenden melden konnte, um sein eigenes Schäfchen ins trockene zu bringen. Wenn Charlotte Bowens Existenz als dieser eine Fehler bezeichnet werden konnte ... Aber Rodney konnte unmöglich von Charlotte wissen. Unmöglich. Absolut unmöglich.
»Du bist so still«, bemerkte Fiona. »Bist du sehr müde?«
»Ich habe nur nachgedacht.« »Worüber?«
»Ich dachte an das letztemal, als wir hier im Garten miteinander geschlafen haben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann es war. Ich weiß nur noch, daß es regnete.«
»Im letzten September«, sagte sie.
Er sah sie über die Schulter hinweg an. »Du weißt es noch.«
»Da drüben bei den Birken, wo das Gras höher ist. Wir hatten uns Wein und Käse mit hinausgenommen. Und im Haus hatten wir Musik an. Wir hatten uns die alte Decke aus deinem Auto geholt.«
»Hatten wir das?«
»Das hatten wir.«
Sie sah verwundert aus im Mondlicht. Sie sah aus wie das Kunstwerk, das sie war. Ihre vollen Lippen waren einladend, der schöne Schwung ihres Halses verlangte nach seinem Kuß, ihr stolzer Körper war eine wortlose Versuchung.
»Die Decke liegt immer noch im Wagen«, stellte Luxford fest.
Die vollen Lippen lächelten. »Dann hol sie doch«, sagte sie.
3
Eve Bowen, Staatssekretärin im Innenministerium und seit sechs Jahren Parlamentsabgeordnete des Wahlbezirks Marylebone, wohnte in der Devonshire Place Mews, einem hakenförmig gekrümmten Sträßchen mit Kopfsteinpflaster, von ehemaligen Stallungen und Remisen gesäumt, die seit langem schon in elegante Wohnhäuser umgewandelt worden waren. Ihr Haus stand am Nordostende der Straße, doppelt breit und drei Stockwerke hoch, ein ansehnlicher Bau aus Schiefer, Backstein und weißen Holzverzierungen mit einer Dachterrasse, von der üppiges Efeugerank herabfiel.
St. James hatte mit Eve Bowen gesprochen, ehe er von zu Hause weggefahren war. Luxford hatte die Verbindung hergestellt und nur gesagt: »Ich habe jemanden gefunden, Evelyn«, ehe er St. James den Hörer gereicht hatte, ohne auf die Erwiderung zu warten. St. James' Gespräch mit der Abgeordneten war kurz gewesen: Er würde unverzüglich bei ihr vorbeikommen, er würde eine Mitarbeiterin mitbringen, ob die Frau Staatssekretärin ihm vorher noch etwas mitteilen wolle.
Ihre erste Antwort war eine brüske Frage gewesen: »Woher kennen Sie Luxford?«
»Durch meinen Bruder.«
»Wer ist das?«
»Ein Geschäftsmann, der sich zu einer Konferenz in London aufhält. Aus Southampton.«
»Verfolgt er irgendwelche eigennützigen Interessen?«
»Die der Regierung oder dem Innenministerium schaden könnten? Das bezweifle ich sehr.«
»Gut.« Sie gab ihm ihre Adresse und schloß mit den Worten:
»Halten Sie Luxford da heraus. Sollte es den Anschein haben, als würde das Haus beobachtet, wenn Sie kommen, dann fahren Sie einfach weiter und wir treffen uns später. Ist das klar?«
Sonnenklar. St. James und Helen Clyde ließen gewissenhaft eine Viertelstunde nach Luxfords Abgang verstreichen, ehe sie sich auf die Fahrt nach Marylebone begaben. Es war kurz nach elf, als sie von der Hauptstraße in die Devonshire Place Mews abbogen, und nachdem sie die Straße einmal abgefahren hatten, um sich zu vergewissern, daß niemand in der Nachbarschaft herumlungerte, stellte St. James seinen alten MG vor Eve Bowens Haus ab und nahm die Handkupplung heraus.
Über der Haustür brannte eine Lampe. Im Erdgeschoß warf eine weiße Lampe unregelmäßige Lichtstreifen auf die zugezogenen Vorhänge der Fenster. Als St. James läutete, hörten er und Helen beinahe augenblicklich schnelle Schritte auf einem Marmor- oder Fliesenboden. Dann wurde ein gutgeölter Riegel zurückgeschoben, und die Tür ging auf.
Eve Bowen sagte: »Mr. St. James?« und trat sofort wieder aus dem Lichtschein, der auf sie herabfiel. Sobald St. James und Helen im Haus waren, sperrte sie die Tür ab und schob den Riegel vor. »Bitte«, sagte sie und führte sie über Terrakotta-Fliesen nach rechts in ein Wohnzimmer, wo auf einem Beistelltisch neben einem Sessel ein offener Aktenkoffer lag, aus dem braune Hefter, Manuskripte, Zeitungsausschnitte, Telefonnachrichten und Dokumente aller Art hervorquollen. Eve Bowen klappte den Deckel herunter, ohne das Durcheinander zu ordnen, nahm ein schweres grünes Weinglas, trank
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