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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Bürstchen, mit dem sie pedantisch die Haarwurzeln behandelte.
    Er hatte ihr im Spiegel zugesehen. Er hatte in der vergangenen Nacht, nachdem sie miteinander fertig gewesen waren, nicht geschlafen. Sie hatte ihn gedrängt, ein Beruhigungsmittel zu nehmen, und war zu Bett gegangen, aber er hatte von den Mitteln genug gehabt und ihr das auch gesagt. Er war die ganze Nacht durchs Haus gewandert - von ihrem gemeinsamen Schlafzimmer in Charlies Zimmer, von Charlies Zimmer ins Wohnzimmer, vom Wohnzimmer ins Speisezimmer. Dort hatte er sich niedergesetzt und bis zur Morgendämmerung in den Garten hinausgeblickt, in dem er nichts hatte sehen können als Schemen und Schatten - und am Ende stand er da, todmüde und verzweifelt, und sah ihr zu, wie sie sich das Haar färbte. »Und was für Sachen soll ich nehmen?« fragte er.
    »Ach, danke dir, Liebling.« Sie trug die Farbe in einem langen Streifen von der Stirn bis zum Scheitel auf. Sie verteilte sie mit dem Bürstchen. »Wir lassen den Sarg geöffnet. Es muß also etwas sein, was sich dafür eignet.«
    »Du willst den Sarg offenlassen?« Er hatte nicht gedacht - »Ja, das möchte ich, Alex. Wenn wir es nicht tun, wird es so aussehen, als hätten wir vor der Öffentlichkeit etwas zu verbergen. Und das ist nicht der Fall. Darum muß der Sarg offenbleiben, und sie muß angemessen gekleidet sein.«
    »Angemessen gekleidet.« Er kam sich vor wie ihr Echo, nicht bereit, selbst zu denken, weil er Angst davor hatte, wohin ihn diese Gedanken führen könnten. Mit einer Anstrengung fügte er hinzu: »Was schlägst du denn vor?«
    »Ihr rotes Samtkleid. Das von Weihnachten. Das paßt ihr sicher noch.« Eve zog den Stiel ihres Kammes durch ihr Haar und hob die nächste Strähne hoch, die Farbe brauchte. »Such auch gleich ihre schwarzen Schuhe heraus. Söckchen sind in der Schublade. Ein Paar mit Spitze am Rand würde sich gut machen, aber sieh zu, daß du nicht welche nimmst, die Löcher haben. Unterwäsche ist wahrscheinlich nicht nötig. Ein Band für ihr Haar wäre hübsch, wenn du irgendwo eins finden kannst, das zum Kleid paßt. Sag Mrs. Maguire, sie soll dir eins aussuchen.«
    Er beobachtete ihre Hände, die sich so routiniert bewegten. Ohne eine Unsicherheit, ohne ein Zittern hantierten sie mit der Flasche, dem Kamm, dem Bürstchen.
    »Was ist denn?« sagte sie schließlich zu seinem Spiegelbild, als er keine Anstalten machte, sich um den Auftrag zu kümmern, den sie ihm gegeben hatte. »Warum siehst du mich so an, Alex?«
    »Sie haben immer noch keine Hinweise?« Er wußte die Antwort, aber er mußte irgend etwas fragen, weil ihm schien, eine Frage zu stellen und sich die Antwort anzuhören sei der einzige Weg, wenigstens eine Ahnung davon zu bekommen, wer sie eigentlich war. »Sie haben nichts gefunden? Nur die Schmiere unter ihren Fingernägeln?«
    »Ich habe dir nichts verheimlicht. Du weißt genausoviel wie ich.« Sie hielt ihren Blick auf sein Spiegelbild gerichtet und unterbrach einen Moment die Arbeit an ihrem Haar. Ihm fiel ein, wie sie stets behauptete, ihn darum zu beneiden, daß er trotz seiner neunundvierzig Jahre noch nicht ein einziges graues Haar hatte, während bei ihr die Veränderung schon begonnen hatte, als sie einunddreißig gewesen war. Und er dachte daran, wie oft er auf diesen Neid reagiert hatte, indem er sagte: »Warum färbst du dir das Haar überhaupt? Wem ist denn deine Haarfarbe wichtig? Mir jedenfalls überhaupt nicht.« Und sie sagte darauf stets: »Danke, Liebling, aber mir gefällt das Grau nicht, und solange ich etwas dagegen tun kann, was halbwegs natürlich aussieht, werde ich das tun.« Mit einem innerlichen Achselzucken hatte er sich jedesmal gesagt, es sei wohl typisch weibliche Eitelkeit, die Eve dazu veranlaßte, sich das Haar zu färben, geradeso, wie sie ihren Pony überlang trug, um die Narbe an der Augenbraue zu verdecken. Aber jetzt erkannte er, daß die Schlüsselworte, die ihm zu einem Verständnis ihres Wesens hätten verhelfen können, immer dieselben gewesen waren: »etwas, was halbwegs natürlich aussieht«. Da sich ihm die eigentliche Bedeutung dieser Worte niemals erschlossen hatte, hatte er auch Eve nie verstehen können. Bis jetzt, so schien es. Und selbst jetzt war er nicht sicher, ob er sie kannte.
    »Alex, was starrst du mich so an?« fragte sie ungeduldig.
    Er nahm sich zusammen. »Habe ich dich angestarrt? Entschuldige. Ich habe nur nachgedacht.«
    »Worüber?«
    »Über das Haarefärben.«
    Er sah das kurze Zucken

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