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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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würden stillen können.
    Mrs. Maguires Stimme drang plötzlich wieder in sein Bewußtsein: »... störrisch wie ein kleiner Esel, wenn's darum ging, was sie anziehen sollte, stimmt's?« sagte sie gerade.
    Er öffnete die Augen und zwinkerte mehrmals, als könnte er damit den Schmerz hinter ihnen vertreiben. »Entschuldigen Sie. Ich war ganz in Gedanken.«
    »Ja, Ihnen geht sicher vieles im Kopf rum, Mr. Stone«, murmelte Mrs. Maguire. »Sie brauchen sich doch bei mir nicht zu entschuldigen. Ich hab' sowieso nur vor mich hin gebabbelt. Gott verzeih mir, aber manchmal tut's einem wohler, mit einem anderen Menschen zu sprechen als mit unserem Herrn, das ist die Wahrheit.«
    Sie ließ ihren Eimer, ihre Putzlappen und ihre Fenster im Stich und kam zu ihm. Sie nahm eine kleine weiße Bluse aus Charlies Schrank. Die Bluse hatte lange Ärmel und weiße Knöpfchen. Der runde Kragen war am Hals durchgescheuert.
    »Charlie hat diese Schulblusen gehaßt«, sagte sie. »Die Schwestern meinten es ja sicher gut, aber manchmal fragt man sich wirklich, was sie sich eigentlich denken. Da verlangen sie von den kleinen Mädchen, daß sie die Blusen immer bis ganz oben zuknöpfen, wegen der Keuschheit. Und wenn sie's nicht tun, kriegen sie im schwarzen Buch einen dicken Strich. Unsere Charlie wollte natürlich keine Striche im schwarzen Buch, aber sie konnte es nicht ausstehen, wenn der Kragen so eng am Hals saß. Bei jeder Bluse hat sie so lange oben rumgezogen, bis der Kragen ein bißchen weiter geworden ist. Schauen Sie, wie lose der oberste Knopf ist. Und wie da oben die Fäden aufgehen. Mit allen ihren Schulblusen hat sie's so gemacht, immer die Finger zwischen den Kragen und ihren Hals geschoben. Tja, diese Blusen hat sie wirklich so gehaßt, als kämen sie vom Teufel, unsere kleine Charlie.«
    Alex nahm ihr die Bluse aus der Hand. Er konnte nicht sagen, ob ihn seine überreizte Phantasie narrte oder ob tatsächlich noch ein leichter Duft in dem Stoff hing. Er roch nach Charlie. Er schien durchtränkt von ihren Klein-Mädchen-Gerüchen nach Lakritze, Radiergummi und Bleistiftspänen.
    »Sie haben ihr auch gar nicht richtig gepaßt«, fuhr Mrs. Maguire fort. »Wenn sie von der Schule heimgekommen ist, hat sie fast jedesmal ihre Uniform auf den Boden geschmissen und die Bluse obendrauf. Manchmal hat sie sogar mit den Schuhen darauf rumgetrampelt. Und diese Schuhe, du meine Güte. Die hat sie auch überhaupt nicht leiden können.«
    »Was konnte sie denn leiden?« Er hätte es wissen müssen. Er hatte es sicher gewußt. Aber er konnte sich nicht erinnern.
    »Von ihren Kleidern, meinen Sie?« fragte Mrs. Maguire. Mit sicherer Hand griff sie an Kleidern und Röcken, an den properen Mänteln und Jacken vorbei und sagte: »Das hier.«
    Alex sah auf den verwaschenen Oshkosh-Overall hinunter. Mrs. Maguires Hand fuhr raschelnd durch die Kleider und brachte ein gestreiftes T-Shirt zum Vorschein. »Und das hier«, sagte sie. »Charlie hat das immer zusammen angezogen. Und ihre Turnschuhe dazu. Die hätte sie am liebsten Tag und Nacht angelassen. Immer ohne Schuhbänder, mit raushängenden Zungen. Wie oft hab' ich ihr gesagt, junge Damen ziehen sich nicht an wie die Penner, Miß Charlotte! Aber Charlie war's doch immer piepegal, wie junge Damen sich anziehen.«
    »Der Overall«, sagte er. »Natürlich.« Hundertmal oder öfter hatte er sie darin gesehen, »In dem zeigst du dich mit uns nicht auf der Straße, Charlotte Bowen«, hatte Eve jedesmal gesagt, wenn Charlotte in ihrem Overall die Treppe heruntergesprungen und zum Auto hinausgehüpft war. »Doch, eben schon! Eben schon!« hatte sie dann gerufen. Aber Eve hatte immer gesiegt, und am Ende waren sie mit einer murrenden und ständig an sich herumzupfenden Charlie im niedlichen Kleinmädchenkleid mit Spitzenkrägelchen - ihrem Weihnachtskleid, mein Gott! - und schwarzen Lackschuhen losgefahren. »Das Zeug kratzt«, hatte Charlie geschimpft und mit brummigem Gesicht an dem Kragen gerissen. So, wie sie an ihren weißen Schulblusen gerissen haben mußte, die sie aus Gründen der Keuschheit und damit sie keinen Strich im schwarzen Buch bekam, bis zum Hals geschlossen hatte tragen müssen.
    »Den nehme ich.« Alex nahm den Overall vom Bügel. Er legte ihn zusammen und das T-Shirt dazu. In der Ecke des Schrankes sah er die Turnschuhe ohne Schnürsenkel und holte sie heraus. Einmal wenigstens, vor Gott und aller Welt, würde Charlotte Bowen so gekleidet sein, wie es ihr gefiel.
    Barbara Havers

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