08 - Im Angesicht des Feindes
ihm ein Zeichen zu geben, daß sie verstand oder wenigstens verzieh. »Wir haben einander nichts bedeutet«, beteuerte er. »Wir waren Körper in einem Bett. Wir waren - ach, ich weiß nicht. Wir waren einfach.«
Mit einer matten Bewegung wandte sie sich ihm wieder zu. Sie forschte in seinem Gesicht, als könnte sie dort die Wahrheit lesen.
»Hast du von dem Kind gewußt?« fragte sie tonlos. »Hat die Frau es dir gesagt? Hast du es die ganze Zeit gewußt?«
Er dachte daran zu lügen. Aber er brachte es nicht über sich.
»Ja, sie hat es mir gesagt.«
»Wann?«
»Ich wußte von Anfang an von Charlotte.«
»Von Anfang an.« Sie flüsterte die Worte vor sich hin, als wollte sie sich mit ihnen vertraut machen. Sagte sie noch einmal. Dann griff sie über ihren Kopf, wo von einem Handtuchhalter ein dickes grünes Frotteetuch herabhing. Sie zog es herunter und hielt es, zu einem Bündel zusammengeknüllt, in ihren Armen. Dann begann sie zu weinen.
Erschüttert streckte Luxford die Arme nach ihr aus, um sie an sich zu ziehen. Sie schreckte zurück. »Es tut mir leid«, sagte er.
»Es war alles Lüge.«
»Was?«
»Unser Leben. Was wir einander bedeuten.«
»Das ist nicht wahr.«
»Ich habe dir nichts verschwiegen. Aber das hatte überhaupt keine Bedeutung, weil du die ganze Zeit ... Wer du in Wirklichkeit bist ... Ich will meinen Sohn wiederhaben«, rief sie weinend. »Jetzt. Ich will Leo. Ich will meinen Sohn.«
»Er ist morgen wieder hier. Ich schwöre es dir, Fi. Bei meinem Leben. Ich schwöre es.«
»Das kannst du gar nicht. Du hast gar nicht die Macht. Dieser Mensch wird mit ihm das gleiche tun, was er mit dem anderen Kind getan hat.«
»Nein, Fiona. Leo wird nichts geschehen. Ich tue ja, was er verlangt. Für Charlotte habe ich es nicht getan, aber ich tue es jetzt.«
»Aber sie ist tot. Sie ist tot. Er ist jetzt nicht mehr nur ein Entführer. Er ist ein Mörder! Wie kannst du glauben, daß er jetzt, wo er einen Mord auf dem Gewissen hat, Leo freilassen -«
Er packte sie bei den Armen. »Hör mir zu. Dieser Mann, der Leo in seiner Gewalt hat, hat keinen Grund, ihm etwas anzutun, weil er nichts gegen mich hat. Alles, was geschehen ist, ist nur geschehen, weil jemand Charlottes Mutter vernichten wollte und das Mittel dazu gefunden hatte. Sie ist in der Regierung. Sie ist Staatssekretärin. Irgend jemand hat in ihrer Vergangenheit herumgeschnüffelt und ist dabei auf mich gestoßen. Der Skandal - wofür ich stehe, wofür sie steht, was zwischen uns vorgefallen ist, die Verlogenheit, mit der sie all die Jahre die Öffentlichkeit getäuscht hat - dieser Skandal wird sie erledigen. Und nur darum geht es hier: Eve Bowen soll fertiggemacht werden. Sie hat es riskiert, die Wahrheit auch dann noch zu verheimlichen, als Charlotte entführt wurde. Ich habe mich von ihr überreden lassen, das gleiche zu tun. Aber jetzt, wo jemand Leo entführt hat, kommt das nicht mehr in Frage. Die Situation ist also eine ganz andere. Und Leo wird nichts geschehen.«
Sie hielt das Handtuch an ihren Mund gedrückt und starrte ihn darüber hinweg an. Mit großen, angsterfüllten Augen. Sie sah aus wie ein in die Enge getriebenes Tier, das den Tod vor sich sieht.
»Fiona«, sagte er, »vertrau mir. Ich lasse nicht zu, daß meinem Kind etwas zustößt. Lieber sterbe ich.«
Er erkannte, was er da gesagt hatte, noch ehe das Schweigen auf seine Worte sich ausbreiten konnte. Und er sah ihr am Gesicht an, daß auch sie es wahrgenommen hatte. Er ließ ihre Arme los. Seine eigenen Worte - und die darin enthaltene Verurteilung seines Verhaltens - verdammten ihn.
Er sprach aus, was seine Frau dachte. Besser, er faßte es selbst in Worte, als es aus ihrem Mund hören zu müssen. »Ja, sie war auch mein Kind. Und ich habe nichts getan. Obwohl sie mein Kind war.«
Plötzlich stieg Angst in ihm auf. Es war dieselbe Angst, die er zurückdrängte, seit er am Sonntagabend die Nachrichten gesehen und das Schlimmste befürchtet hatte. Doch jetzt wurde sie verstärkt durch das Bewußtsein seiner Schuld, die Verantwortung für ein Leben, das er mitgezeugt hatte, von sich geschoben zu haben. Und sie wurde verstärkt durch das Wissen, daß seine Tatenlosigkeit in den vergangenen sechs Tagen die Entführung seines Sohnes provoziert hatte. Unfähig, seiner Frau noch länger ins Gesicht zu sehen, wandte er sich ab. »Gott verzeih mir«, sagte er leise. »Was habe ich getan?«
Sie saßen zusammen in der Dunkelheit. Sie waren nur Zentimeter voneinander
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